Die Angst spielt mit
schon so lange da unten in Virginia gewesen, dass sie vergessen hat, wie die Winter in New Hampshire sind. Ich fürchte noch immer, dass sie beim ersten Schnee zurück in den Süden zieht.”
“Zu diesem nichtsnutzigen Ehemann?”, murmelte Helen.
“Er ist nicht mehr ihr Ehemann, Mutter. Du weißt genau, dass ihre Scheidung im März rechtskräftig wurde, kurz bevor sie wieder hierher zog”, sagte Mildred.
“Nun ja, das Mädchen sieht schlimm aus, mehr kann ich nicht sagen”, erklärte Helen, aber wie immer, wenn es um ihr einziges Enkelkind ging, mischte sich Sorge in ihre Stimme. “Warum nimmt sie sich nicht zusammen, Mildred? Sie ist noch jung, und mit etwas Sorge um ihr Aussehen und einem gelegentlichen Lächeln wäre sie ganz attraktiv.”
“Ja, Mutter, aber Maggie ist noch nicht wieder in Thornhill eingewöhnt, und dann sind da noch Leif und Michael.”
“Alles, was diese Jungen brauchen, ist mehr Disziplin und weniger Fernsehen”, meinte Helen. “Was denken Sie, Parker? Ist das Fernsehen nicht der Ruin der Jugend?”
Parker sah Helen an, die so seltsam vor seinen Augen verschwamm. “Wie? Jugend? Ja, sie ist noch jung … erst … fünfundvierzig …”
Helen schüttelte den Kopf. “Fünfundvierzig? Maggie ist erst vierunddreißig und sieht keinen Tag über dreißig aus.”
Parker nickte mit einem vernebelten Lächeln. Doch dann fühlte er einen dumpfen Schmerz in seiner Brust. Für einen Moment klärte sich sein Kopf, und alles wurde erschreckend scharf. Er riss die Augen auf, und Alarm zeigte sich in seinem Gesicht. “Natürlich! Das ist es! So ein Narr … nach allem!”
Mit einem letzten erstickten Laut rollte Parker Andersons Kopf zur Seite, und er sackte in seinem Rollstuhl in sich zusammen.
In dem Moment, in dem der alte Mann seinen letzten Atemzug tat, trat eine Gestalt an Parker Andersons Nachtschränkchen, holte die Flasche mit dem Eisensirup heraus und hinterließ ein Duplikat.
1. KAPITEL
S chwester Kelly Brown kontrollierte, ob Parker Andersons Raum für seinen neuen Bewohner, den achtundsiebzigjährigen Ernie Novak, in bestem Zustand war.
Am Nachtschränkchen hielt sie inne und holte die Flasche aus dem Schubfach. Kellys Augen wurden ein wenig feucht angesichts des Eisensirups. Sie hatte den alten Mann wirklich gemocht.
Sie wollte schon die Flasche in ihre Tasche stecken, als ihr etwas auffiel.
Bertie Sanborn, die neue Helferin, blieb in der Tür stehen, als sie das konsternierte Gesicht der jungen Frau sah. Bertie fragte, ob etwas nicht in Ordnung sei.
Kelly öffnete die Flasche und schloss sie wieder. “Nicht kindergesichert.”
Bertie warf ihr einen verblüfften Blick zu. “Da Mr. Parker von uns gegangen ist, dürfte der Verschluss auf der Medizinflasche keine große Rolle mehr spielen.”
Das war auch nicht Kellys Sorge. Aber als sie Mr. A. das letzte Mal seine Medizin gab, musste sie ziemlich mit dem Verschluss kämpfen, bevor er den Saft trinken konnte.
Jenen Saft, der wie Gift schmeckte.
Maggie Mead ließ sich zwischen ihrem achtjährigen Sohn Leif und dem dreizehnjährigen Michael auf die Knie sinken. Beide hatten ihren Spaß, indem sie eine alte Zederntruhe durchwühlten. “Hey, Jungs, macht Platz für mich. Ich liebe vergrabene Schätze so sehr wie ihr”, sagte Maggie.
Die beiden älteren Mead-Frauen beobachteten das begeisterte Trio aus einiger Entfernung.
“Hey, Nana”, rief Michael seiner Urgroßmutter aufgeregt zu. “Kann ich die alte Pfeife haben? Ist die nicht irre?” Er schob sich die Meerschaumpfeife in den Mund und bescherte seinem kleinen Bruder einen Lachanfall.
“Wirklich, Kinder”, sagte Helen nüchtern. “Ihr müsst die Gegenstände in der Truhe mit mehr Respekt behandeln. Sie hatten eine tiefe Bedeutung für den armen, von uns gegangenen Mr. Anderson.”
Maggie betastete einen alten, vergilbten Spitzenkragen und sah zu ihrer Großmutter hoch. “Meinst du, er hatte eine Femme fatale?” Maggies Augen funkelten. Trotz ihrer Sorgen in letzter Zeit hatte sie sich ihre lebhafte Fantasie bewahrt.
Helen zuckte mit den Schultern. “Ich weiß absolut nichts über Parkers Vergangenheit, außer dass er einmal Versicherungsdetektiv oder so etwas in der Art war.”
Maggie schob eine Locke ihrer kastanienbraunen Haare von ihrem Auge. “Er muss sich dir aber verbunden gefühlt haben. Nana”, meinte sie dann und band ihre schulterlangen Haare mittels eines Gummibandes zu einem Pferdeschwanz. “Er hat dir die Truhe
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