Die Ankunft
nicht die Ziege.
Die Blutlache war riesig. Sie hatte sich in den Schnee hineingeschmolzen und ihn rot gefärbt. Überall rundum waren Blutspritzer in der glitzernden Schneedecke.
Aus der Blutlache führte eine blutige Schleifspur tiefer in die Schonung.
„Was ist?“, fragte Sibil von hinten. „Hast du eine Spur?“
„Vielleicht.“
Katharina überwand ihre Angst und ihren Ekel, stieg über die Blutlache und folgte der Spur. Schnee und Tannennadeln rieselten ihr in den Kragen, als sie sich durchs Gestrüpp zwängte. Als sie gerade umkehren wollte, weil einfach kein Durchkommen mehr war, stieß ihr Fuß gegen etwas Weiches.
Der Junge hatte kein Gesicht mehr. Er musste vielleicht zehn oder zwölf Jahre alt gewesen sein, ein dünnes, blasses Kerlchen. Sein Kopf war zerdrückt wie ein fauler Apfel. Graue Gehirnmasse quoll daraus hervor. Seine Brust und sein Bauch waren aufgerissen, Katharina sah zwischen Haut- und Fleischfetzen die Gedärme bläulich schimmern. Ein Bein war bis zum Skelett abgefressen.
Neben ihr erbrach sich Sibil ins Gebüsch.
„Zumindest nicht die Ziege“, sagte Katharina.
„Was machen wir denn jetzt?“, fragte Sibil schwach, bevor neue Übelkeit sie nach vorne krümmte.
„Nichts“, sagte Katharina. „Wir gehen zurück und beten, dass der Schnee unsere Spuren verdeckt. Wir waren nicht hier. Wir haben nichts gesehen. Wir haben nichts gefunden. Und wenn die Ziege wirklich weg ist, dann Gnade uns Gott.“
Sie packte Sibil unsanft und stieß sie aus dem Gebüsch. Schweigend machten sie sich auf den Rückweg. Sibil weinte leise.
Es schneite heftig, als sie an der Hütte ankamen. Katharina war dankbar für jede Flocke, die fiel.
Die Hütte war dunkel, Peter hatte noch kein Licht gemacht. Vor der Tür stand die Ziege und kaute geruhsam an ihrem Strick.
„Lotte!“, rief Sibil und fiel dem Tier um den Hals, das zutraulich seine Nase in ihre Armbeuge steckte. Für einen Augenblick wirkte Sibil wieder sehr kindlich, wie das kleine Mädchen, das sie noch vor zwei Sommern gewesen war.
„Ein Glück“, sagte Katharina und stemmte die Tür auf, die von einer Schneewehe blockiert wurde. „Schnell rein mit dem Tier. Wir binden sie drinnen an. Das darf nicht noch einmal passieren.“
In der Hütte war es kalt. Peter schnarchte hörbar auf der Schlafstatt. Katharina legte einen Finger auf die Lippen. Sibil nickte. Genau wie Katharina selbst zitterte sie am ganzen Leib vor Kälte.
„Zieh die nassen Kleider aus“, flüsterte Katharina, „du holst dir sonst den Tod.“ Sie zündete die Kerze auf dem Tisch an und begann ihrerseits, sich die schweren, nassen Kleider vom Leib zu ziehen. Die Aufregung hatte sie nicht bemerken lassen, wie sehr sie ausgekühlt war. Eilig entzündete sie ein Feuer in der gemauerten Feuerstelle. Sie sparte mit dem Holz, doch wenigstens ein bisschen Wärme musste sein, sonst würde keiner von ihnen den nächsten Morgen sehen.
Sibil stand noch immer wie angewachsen und rührte sich nicht. Ihr Gesicht war weiß und immer noch von Panik gezeichnet. Unsanft schälte Katharina sie aus Umhang, Überwurf und Hemd, bis das Mädchen nackt und zitternd vor ihr stand. Dann scheuchte sie sie auf die Schlafstatt unter die Decken, zog sich selbst das Hemd vom Leib und rutschte nackt neben das Mädchen unter die Felldecke. Sie presste den eigenen kalten Körper gegen den des Mädchens und wartete auf die Wärme.
Langsam hörte Sibil auf zu zittern. Das Feuer in der Feuerstelle gewann an Kraft. Die Wärme und die überstandene Aufregung machten Katharina schläfrig. Dann bewegte sich Peter und drehte sich grunzend auf die andere Seite, und plötzlich wurde Sibil in Katharinas Armen steif.
„Da seid ihr ja, meine Hübschen.“ Peters Gesicht erhob sich hinter Sibils weißer Schulter. Sibil zuckte zusammen und presste sich gegen Katharina. Das Blut war auf Peters Gesicht getrocknet. Seine Haare standen ihm wild und struppig vom Kopf ab, und er schien sich einen Zahn ausgeschlagen zu haben, denn sein Grinsen war fremd und beängstigend.
Es klatschte, und Sibil quietschte auf. Mit schreckgeweiteten Augen klammerte sie sich an Katharina, während Peter die Felldecken wegschob und den nackten Körper des Mädchens entblößte. Er selbst war nackt, schmutzig, voller Kratzer und blutverschmiert – wie jemand, der sich durch ein Gestrüpp gekämpft hatte – und seine Männlichkeit stand pulsierend von seinem Körper ab.
„Ein echtes Weibchen ist sie geworden, die Kleine“,
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