Die Ankunft
Dunkelbraun, Minirock, hohe Stiefel. Eindeutig 60er Jahre.
„Das ist eine Schwester meiner Mutter. Meine Tante Annette. Sie war Fotomodell.“
„Nicht schlecht.“ Er pfiff anerkennend durch die Zähne. „Du bist ihr wie aus dem Gesicht geschnitten. Sicher, dass das deine Tante ist, nicht deine Mutter?“
Ich grinste humorlos. „Meine Mutter ist bei meiner Geburt gestorben. Deshalb, ja, ganz sicher.“
„Da sind noch mehr von ihr.“ Alexa kramte in der Kiste. Fotos von mir im Badeanzug, auf einem Bootssteg mit einem hübschen Dunkelhaarigen, im Etuikleid vor dem Casino in Monaco. Ja, ich wusste schon, wie man lebte. Wenn ich hier mit meinem Studentenleben fertig war, würde ich wieder eine glanzvollere Identität wählen. Mein Leben war einfach zu lang, um es ohne gute Hotels zu verbringen.
„Diese Ähnlichkeit“, staunte Alexa. „Kaum zu glauben, dass das nicht du bist!“
„Das Foto ist vierzig Jahre alt! Da müsste ich mich aber gut gehalten haben.“
„Wo lebt denn deine Tante Annette heute?“, wollte Sam wissen.
„In Amerika“, sagte ich schnell. „In einem Vorort von L.A. Sie ging in den Achtzigerjahren nach drüben, wegen ihrer Karriere. Heute ist sie Seniormodel für verschiedene Designer.“
„Cool. Ich würde gerne mal sehen, wie sie heute aussieht. Können wir sie mal googeln?“
„Sie arbeitet unter einem Pseudonym. Ich weiß nicht, unter welchen.“
„Lass uns einfach mal ihren bürgerlichen Namen eingeben.“
„Ich dachte, du bist hier, um mir zu helfen?!“, fauchte ich.
„Das bin ich“, sagte er und sah mich lange an. „Wenn du meine Hilfe brauchst. Okay, vergiss die Tante.“
„Genau. Lieber neue Schränke als alte Schachteln“, sagte Alexa fröhlich und ließ den Akkuschrauber schnurren. „Können wir dann?“
Als mein Schrank stand und meine Helfer sich nach einer letzten Tasse Kaffee verabschiedet hatten, packte ich den Karton und ging damit auf den Balkon. Mein Vormieter hatte seinen Grill dort stehenlassen, ein dreibeiniges, wackeliges, fettverkrustetes Ding, das ich noch nicht entsorgt hatte – zum Glück.
Ich legte ein paar Fotos in die Feuerschale und zündete sie an.
Ich war viel zu leichtsinnig geworden. Vierhundert Jahre war mir nichts passiert. Nahezu unsterblich, surfte ich durch die Jahrhunderte, während die kurze Lebensspanne der Menschen um mich herum verlosch. Und nun begann ich, mir den Luxus der Sentimentalität zu leisten. Ich hatte die Fotos aufgehoben, damit ich eine Chance hatte, mich an meine vergangenen Leben zu erinnern – und weil ich immer noch fasziniert von moderner Technik war.
Ich drehte ein beinahe zweihundert Jahre altes Foto zwischen den Fingern, bevor ich es den Flammen übergab. Andere Leute hängten so etwas ins Museum. Ich war damals eine der ganz wenigen Menschen gewesen, die sich vor den riesigen schwarzen Kasten gewagt hatten, um eine Photographie von sich anfertigen zu lassen. Mit Schaudern dachte ich an die Korsetts und Unterröcke. Nein, ich war jedenfalls ein Fan der modernen Zeiten – so modern, dass Fotos auf Papier längst überholt waren.
Ich dachte an meinen Facebook-Account. War ich zu leichtsinnig? Ich postete mein erfundenes Leben, aber ein echtes Foto. Heutzutage war man ja schon fast verdächtig, wenn man kein Facebook-Profil hatte. Wenn jemand mich finden wollte, hatte er es heute in den Zeiten des Internets leicht wie noch nie.
Im nächsten Leben würde ich den Namen Stubbe ablegen. Wieso ich ihn wieder gewählt hatte, nach lauter Leben als Klein, Erhardt, Remeis und Gordon, wusste ich nicht.
Vielleicht hatte ich meine Wurzeln spüren wollen. Sie waren so weit weg.
Die restlichen Fotos warf ich ins Feuer. Es rauchte und stank. Der Wind blies kleine Ascheröllchen vom Balkon.
Ich ging rein, um meinen neuen Schrank einzuräumen.
6. Kapitel
Bedburg, kurz nach Weihnachten 1588
« Jetzt ist das Elend bei dir angekommen. »
„Ich will da nicht raus“, jammerte Sibil. „Ich habe Angst.“
Katharina seufzte und zog ihren Umhang fester um die Schultern. Sie hatte selbst wenig Lust auf einen Fußmarsch durch den Wald, zumal es schon wieder begonnen hatte zu schneien.
„Ich weiß, Kleine, aber es ist nun mal unsere einzige Ziege. Wenn die Wölfe sie holen, haben wir keine Milch mehr.“
Sie griff nach einem abgebrochenen Besenstiel und drückte ihn Sibil in die Hand.
„Hier. Damit du dich wehren kannst.“
Sie öffnete die Tür und schob Sibil hinaus in den grauen Nachmittag. Der Schnee
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