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Die Augen der Mrs. Blynn

Die Augen der Mrs. Blynn

Titel: Die Augen der Mrs. Blynn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Highsmith
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oder elf vielleicht, aber dafür erinnerte jedes an einen besonderen Anlaß oder eine besondere Phase ihres Lebens, und alle waren ihr gleich lieb und teuer. Als Elsie sich über das Tablett beugte und das Geschirr zusammenrückte, um alles auf einmal hinaustragen zu können, musterte Mrs. Palmer ihr einfältiges, reizloses Gesicht.
    »Also diese Mrs. Blynn«, sagte Elsie kopfschüttelnd und ohne Mrs. Palmer anzusehen. »Fragt mich, ob ich glaube, daß Ihr Sohn kommt. Woher sollte ich das wissen? Doch, hab ich gesagt, ich dächte schon.« Jetzt richtete sie sich mit dem Tablett auf und lächelte Mrs. Palmer verlegen an, so als hätte sie vielleicht schon zuviel gesagt. »Ihre ewige Schnüffelei – entschuldigen Sie den Ausdruck, Madam –, das ist das Unangenehme an Mrs. Blynn. Sie horcht die Leute aus, verstehen Sie?«
    Mrs. Palmer fühlte sich so schwach, daß sie nur nickte, statt zu antworten. Sie wußte ohnehin nichts darauf zu sagen. Elsie, dachte sie, war seit Tagen an der Amethystbrosche vorbeigegangen und hatte nie ein Wort darüber verloren, hatte sie nie angefaßt, sie vielleicht nicht einmal bemerkt. Mrs. Palmer erkannte auf einmal, daß sie Elsie sehr viel lieber mochte als Mrs. Blynn.
    »Das ist das Unangenehme an Mrs. Blynn… Sie meint es gut, aber…« Elsie hatte offenbar den Faden verloren.
    Als sie hilflos die Achseln zuckte, klirrte das Porzellan auf dem Tablett. »Wirklich jammerschade, aber es ist so, da können Sie fragen, wen Sie wollen«, schloß Elsie, als ob 17
    damit alles erklärt wäre. Sie wandte sich zum Gehen, drehte sich aber in der offenen Tür noch einmal um. »Was zum Beispiel den Tee angeht, da besorge ich dauernd irgendwas extra für sie, als ob sie eine große Dame war. Sie kommt mir immer schon einen Tag im voraus mit ihren Sonderwünschen. Darum sehe ich nicht ein, wieso sie nicht ab und zu selber in die Bäckerei geht und sich was mitbringt. Falls Sie verstehen, was ich meine.«
    Mrs. Palmer nickte. Doch, sie verstand. Ganz sicher sogar. Mrs. Blynn war wie ein Kindermädchen, das sie eine Zeitlang für Gregory gehabt hatte. Wie eine Geschiedene, die sie und ihr Mann in London gekannt hatten. Und es gab noch viele, mit denen man sie hätte vergleichen können.
    Mrs. Palmer starb zwei Tage später. An diesem Tag ging Mrs. Blynn bei ihr ein und aus, vielleicht sechs-, vielleicht achtmal insgesamt. Morgens war ein Telegramm von Gregory gekommen, der mitteilte, er habe endlich das mit seinem Urlaub regeln können; in wenigen Stunden werde er losfliegen und auf einem Militärflugplatz in der Nähe von Eamington landen. Mrs. Palmer wußte nicht, ob sie ihn noch sehen würde, sie konnte ihre Kräfte nicht so weit vor-ausberechnen. Mrs. Blynn fühlte ihr häufig den Puls und maß ihre Temperatur, und hinterher drehte sie sich auf einem Bein und sah sich so ungeniert im Zimmer um, als ob sie allein wäre und ungestört ihren Gedanken nachhinge.
    Die Pfirsichwangen in ihrem ausdruckslos freundlichen Gesicht strotzten vor Gesundheit.
    »Heute kommt Ihr Sohn«, sagte Mrs. Blynn bei einer ihrer Visiten, und es war halb Frage, halb Feststellung.
    »Ja«, sagte Mrs. Palmer.
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    Da dämmerte es bereits, obwohl es erst vier Uhr nachmittags war.
    Und das war auch das letzte Gespräch, das sie bei vollem Bewußtsein führte, denn kurz darauf versank sie in eine Art Traumzustand. Trotzdem sah sie, wie Mrs. Blynn unverwandt auf die blaue Schatulle oben auf dem Bücherschrank starrte, sogar dann, wenn sie das Fieberthermo-meter herunterschüttelte. Mrs. Palmer rief nach Elsie und ließ sich den Schmuckkasten ans Bett bringen. Zu dem Zeitpunkt war Mrs. Blynn nicht im Zimmer.
    »Das geht alles an meinen Sohn, wenn er kommt«, sagte Mrs. Palmer. »Alles. Ohne Ausnahme. Haben Sie verstanden? Es ist alles schriftlich…« Aber obwohl jedes Schmuckstück einzeln aufgeführt war, mochte nachher doch ein Kleinod wie die Amethystbrosche fehlen, und Gregory würde nichts unternehmen, es vielleicht gar nicht bemerken oder denken, sie hätte die Brosche in den letzten Wochen irgendwo verloren und den Verlust nicht angezeigt. Das sähe Gregory ähnlich. Doch dann lächelte Mrs. Palmer still, und zugleich tadelte sie sich: Mitnehmen kannst du sie ohnehin nicht. Soviel stand fest, und wer das nicht wahrhaben wollte, der machte sich lächerlich und konnte nur Verachtung ernten. »Elsie, die gehört Ihnen«, sagte Mrs.
    Palmer und hielt Elsie die Amethystbrosche hin. »Oh, Mrs.
    Palmer! Nein, das kann ich

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