Die Bernsteinhandlerin
beider Blicke trafen sich einen Wimpernschlag lang, und Erinnerungen stiegen in Barbara auf. Unwillkürlich dachte sie daran, wie sie am Fenster eines Lübecker Patrizierhauses gestanden und mit den Fingerspitzen das Fensterglas berührt hatte. Es war so glatt gezogen gewesen â klar und dabei auffallend sauber in die Rahmen eingesetzt, wie es nur Handwerker aus Venedig zustande brachten. Das Treiben, das sie damals auf der StraÃe beobachtet hatte, wurde vor ihrem inneren Auge wieder lebendig: Bilder, Stimmen, Gestalten, Pferde, Wagen â¦
Ein Reiter war ihr aufgefallen â hochgewachsen, etwa dreiÃig Jahre alt, wie ein Ritter gekleidet und bewaffnet. Besonders einprägsam war das Wappen mit dem Rosenschwert auf dem Waffenrock. Damals hatte Erich von Belden ein zweites Pferd mit sich geführt, das wohl als Packtier gedient hatte.
Ein Reisender, so hatte Barbara angenommen â wahrscheinlich ein verarmter Adelssohn, der sich als Söldner verdingte. Die aufblühenden Hansestädte hatten â ebenso wie viele Landesfürsten â einen ständig wachsenden Bedarf an kampferfahrenen Landsknechten, die sie dann in Lohn und Brot nahmen.
Einen flüchtigen Augenblick nur waren sich auch damals ihre Blicke begegnet. Wenig später war er hinter der nächsten StraÃenecke und aus ihrem Gesichtsfeld verschwunden. Zwei Schicksalswege, die sich wahrscheinlich nicht wieder kreuzen würden, so hatte sie damals zuerst gedacht. Doch nur kurze Zeit darauf sollte er ihr bereits erneut begegnen und sie davor bewahren, sehenden Auges in ihr Verderben zu stürzen.
Die drei Jahre, die seitdem vergangen waren, erschienen Barbara im Rückblick als eine Ewigkeit.
ZWEITES KAPITEL
Kalter Empfang
[â¦] So bin ich sehr froh, dass wir uns über die wesentlichen Punkte einig werden konnten, die eine Verlobung und spätere Verehelichung Eures Sohnes Matthias mit unserer Tochter Barbara sowie die sich daraus ergebende zukünftige Verbindung der Handelshäuser Isenbrandt aus Lübeck und Heusenbrink aus Riga betreffen. In einer Zeit, in der das freie Kaufmannstum vielfältigen Bedrohungen durch den schier unersättlichen Abgabenhunger von Fürsten und Ordensrittern ausgesetzt ist, die Wegelagerern gleich die Kaufleute und Krämer auf ganz und gar unchristliche Weise auszupressen versuchen, müssen neue Wege gefunden werden, um sich unter widrigsten Umständen gemeinsam gegen diese Drangsal zu behaupten. Da die Nachfrage nach Bernstein, den man nicht umsonst das Gold der Ostsee nennt, seit Menschengedenken ungebrochen ist, sehe ich trotz aller Beschwernisse eine ertragreiche Zukunft vor uns. [â¦]
Aus einem Brief des Rigaer Handelsherrn Heinrich Heusenbrink â genannt »der Bernsteinkönig« â an den lübischen Kaufmann und Ratsherrn Jakob Isenbrandt; verfasst im Dezember 1446, an seinen Empfänger überbracht nicht vor März 1447
Lübeck, März 1447 â drei Jahre vor dem Ãberfall auf der Kurischen Nehrung:
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»Sollte mein zukünftiger Gemahl mich nicht am Hafen erwarten?«
»Sicher hat man ihm unsere Ankunft noch nicht gemeldet, Barbara.«
»Seit Stunden müht sich unsere Kogge die Trave hinauf, und auÃerdem haben wir bereits am Nordtor einen Boten an Land gesetzt, der uns ankündigen soll â¦Â« Sie schüttelte den Kopf und gab die Suche auf. Am Ufer war niemand, dessen Kleidung auch nur annähernd standesgemäà gewesen wäre. Nur Hafenarbeiter, Matrosen, Salzhändler und bettelndes Gesindel, das auf die Barmherzigkeit wohlhabender Passagiere hoffte. Barbara wandte ihren Kopf, strich sich eine Strähne aus dem Gesicht und sah ihren Vater an. »Wenn ich schon keine Liebe erwarten kann, so doch wenigstens Höflichkeit und Respekt. Findest du nicht?«
Ein kalter, beiÃender Wind blies von Norden und wehte Barbara Heusenbrink in das ungeschützte Gesicht, während sie auf dem Achterdeck der »Bernsteinprinzessin« stand â einer bauchigen Kogge nach hanseatischer Bauart. Kurz vor der Abreise aus Riga hatte sich der Tag ihrer Geburt zum zwanzigsten Mal gejährt, was bedeutete, dass es höchste Zeit wurde, eine standesgemäÃe Ehe einzugehen, die geeignet wäre, die Zukunft des Handelshauses Heusenbrink zu sichern.
Ihre Haltung verriet den Stolz einer Patriziertochter, die sich einer Art von Adel zugehörig fühlte, der weder auf der Geburt noch der
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