Die Bernsteinhandlerin
vollkommen auf ihre Urteilskraft.
Dass sie eine Frau war, trug zwar nicht gerade dazu bei, dass man sie unter den Hanseaten von Riga sonderlich ernst nahm, aber Barbara war fest entschlossen, allen zu zeigen, was in ihr steckte. Und so bedeutend das Handelshaus Heusenbrink auch in Riga selbst dann sein mochte, wenn es in Zukunft von einer Frau geführt wurde, so lebenswichtig war es andererseits doch auch, einen starken Partner in Lübeck zu haben. Diese Hansestadt blieb das Tor zur Welt.
»Lass uns an Land gehen«, sagte Heinrich Heusenbrink.
Seine Frau Margarete hatte leider aus gesundheitlichen Gründen in Riga bleiben müssen. Ein Lungenleiden machte ihr schon seit langem zu schaffen, und da hatte man ihr die Anstrengungen der Ãberfahrt nicht zumuten wollen. Hätte man Barbara als kleinem Mädchen geweissagt, dass ihre Mutter nicht an ihrer Verlobung teilnehmen würde, so wäre sie gewiss sehr traurig gewesen. Aber da sie selbst dieser Verbindung distanziert gegenüberstand, war das jetzt für sie nicht wirklich schlimm. Natürlich hätte sich Barbara den Rat und den Beistand ihrer Mutter gewünscht, aber die Gesundheit ging in diesem Fall vor.
Vielleicht muss ich noch lernen, das, was vor mir liegt, wie eine geschäftliche Transaktion zu betrachten!, ging es ihr durch den Kopf. Der Haken an der Sache war nur, dass es dabei nicht um den Tausch von Bernstein gegen einen möglichst hohen Betrag in lübischer Mark ging, sondern dass sie selbst das Tauschobjekt war.
Ãber das Fallreep betraten Barbara und ihr Vater das Ufer. Zwischen dem Ufer der Trave und der Stadtmauer befand sich ein etwa dreiÃig Schritt breiter Streifen, auf dem die Waren umgeschlagen wurden, die man von den Schiffen entlud.
Barbara war froh, wieder festen Boden unter den FüÃen zu haben. Sie blickte direkt auf das Holstentor.
Zahllose Bettler und Tagelöhner hatten sich bereits an der Kaimauer versammelt, um beim Entladen etwas zu verdienen â oder, falls dies nicht möglich war, wenigstens ein Almosen zu erbetteln. Die Augen dieser in Lumpen aus fleckigem Leinen gekleideten Menschen waren wie gebannt auf die Heusenbrinks gerichtet und verfolgten jede ihrer Bewegungen. Noch hielten sie gebührenden Abstand, denn sie wussten, dass sie ihrem Glück nicht durch Aufdringlichkeit nachhelfen konnten.
Zwei Gespanne näherten sich dem Liegeplatz der »Bernsteinprinzessin«, und die Menge bildete sofort eine Gasse, noch ehe die Kutscher sie ziemlich herrisch dazu aufforderten, den Weg zum Schiff freizugeben.
Der erste Wagen war für den Transport von Personen gedacht, der zweite sollte wohl Gepäck aufnehmen.
Ein Mann in einfacher, aber vornehmer Kleidung stieg aus der ersten Kutsche. Er trat vor Barbara und ihren Vater, nahm seine mit einer Fasanenfeder geschmückte Mütze ab und verneigte sich tief. »Ich bin Thomas Bartelsen, der Schreiber und Sekretär des ehrenwerten Ratsherrn Jakob Isenbrandt«, stellte er sich vor. »Und wenn mich nicht alles täuscht, seid Ihr der Herr Heinrich Heusenbrink mit seiner Tochter Barbara.«
»Das ist richtig«, nickte Heinrich.
Thomas Bartelsen verneigte sich noch einmal eigens vor Barbara, begrüÃte sie mit aller zu Gebote stehenden Höflichkeit und sagte dann: »Die Kunde von Eurer Schönheit und Eurem Geschäftssinn sind Euch vorausgeeilt und bis nach Lübeck gedrungen.«
»Wer so etwas berichtet hat, wollte schmeicheln«, erwiderte Barbara mit einem verhaltenen Lächeln. Derartige Komplimente waren eigentlich nicht nach ihrem Geschmack.
»⦠und hat doch keineswegs übertrieben!«, fügte Thomas Bartelsen ihrer Bemerkung hinzu. »Euer zukünftiger Gemahl ist für seinen guten Geschmack bei der Auswahl seiner Braut gewiss zu beneiden!«
Nur dass dies kaum seine eigene Wahl gewesen sein dürfte!, dachte Barbara, behielt diese Erwiderung aber für sich. Sie fragte sich jedoch immer mehr, weshalb Matthias ihr nicht persönlich die Ehre erwiesen und sich zum Hafen begeben hatte, sondern die BegrüÃung seiner zukünftigen Braut einem Bediensteten überlieÃ. Ein Zeichen von Respekt war das nicht,
und mit etwas bösem Willen hätte man darin sogar einen Affront sehen können. Barbara war realistisch und erwartete von dem ihr fremden Mann kein Liebesgeflüster oder gar irgendeine falsche Schmeichelei.
Aber die Formen des Anstands und der
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