Die Bestie von Florenz
Antwort darauf.
Die Polizei sperrte Spalletti in das berühmte Florentiner Gefängnis Le Murate (»die Eingemauerten«) und klagte ihn wegen Reticenza oder absichtlichem Verschweigen an, einer Form des Meineids. Die Behörden hielten ihn immer noch nicht für den Mörder, waren aber sicher, dass er wichtige Informationen verschwieg. Ein paar Tage im Gefängnis würden ihn vielleicht zum Reden bringen.
Spezialisten der Spurensicherung machten sich über Spallettis Auto und sein Haus her. Sie fanden einen Brieföffner in seinem Wagen und im Handschuhfach eine Waffe, die man einen scacciacani nannte, einen »Hundeschreck« – eine billige Pistole mit Platzpatronen, mit der man Hunde verscheuchte und die Spalletti über eine Anzeige in einem Pornoheft gekauft hatte. Es waren nirgends Spuren von Blut zu finden.
Sie vernahmen Spallettis Frau. Sie war viel jünger als ihr Mann, ein dickes, ehrliches, einfaches Mädchen vom Lande, und sie gab zu, dass sie wusste, dass ihr Mann ein Spanner war. »So oft«, schluchzte sie, »hat er mir versprochen, damit aufzuhören, aber dann hat er doch wieder angefangen. Und es stimmt, dass er in der Nacht des sechsten Juni rausgegangen ist, um ›sich umzusehen‹, wie er das immer genannt hat.« Sie hatte keine Ahnung, wann ihr Mann zurückgekehrt war, nur, dass es nach zwei Uhr gewesen sein musste. Sie beharrte darauf, dass ihr Mann bestimmt unschuldig sei, dass er ein so schreckliches Verbrechen gar nicht begangen haben könne, weil »es ihn vor Blut graust, und zwar so schlimm, dass er sich bei der Arbeit weigert, aus dem Wagen zu steigen, wenn es einen Autounfall gegeben hat«.
Mitte Juli beschuldigte die Polizei schließlich Spalletti des Mordes.
Nachdem Spezi als Erster über den Mord geschrieben hatte, berichtete er auch weiterhin in La Nazione über den Fall. Seine Artikel waren den Ermittlungen gegenüber skeptisch und wiesen auf die vielen Löcher in der Anklage gegen Spalletti hin – darunter etwa die Tatsache, dass es keinerlei direkten Beweis gab, der ihn mit dem Verbrechen in Zusammenhang brachte. Außerdem war Spalletti keine Verbindung zu dem ersten Mord 1974 in Borgo San Lorenzo nachzuweisen.
Am 24. Oktober 1981 nahm Spalletti in seiner Gefängniszelle die Zeitung in die Hand und las eine Schlagzeile, die für ihn eine große Erleichterung gewesen sein muss:
DER MÖRDER IST WIEDER DA
Junges Pärchen auf Feld brutal ermordet
Indem sie erneut gemordet hatte, hatte die Bestie selbst die Unschuld des krankenwagenfahrenden Spanners bewiesen.
Kapitel 3
Viele Nationen haben einen Serienmörder, der ihre Kultur durch einen Prozess der Negation definiert, der seine Ära veranschaulicht, nicht indem er ihre Werte verkörpert, sondern indem er ihre hässliche Kehrseite offenbart. England hatte Jack the Ripper, geboren in den Nebeln des Dickensschen London, der sich seine Opfer in der vernachlässigten Unterschicht der Stadt suchte, unter den Prostituierten, die in den Elendsvierteln von Whitechapel ums Überleben kämpften. Boston hatte den Boston Strangler, den weltgewandten, gutaussehenden Mörder, der sich in den eleganteren Gegenden der Stadt herumtrieb, ältere Frauen vergewaltigte und ermordete und ihre Leichen in unsagbar obszönen Positionen drapierte. Deutschland hatte den Vampir von Düsseldorf, der mit seinen sadistischen Morden an Männern, Frauen und Kindern den Aufstieg Hitlers zu prophezeien schien. Sein Blutdurst war so gewaltig, dass er noch am Vorabend seiner Hinrichtung die bevorstehende Enthauptung als »Lust, die alle Lust beendet« bezeichnet haben soll. Jeder dieser Mörder verkörperte auf finstere Weise jeweils seine Zeit und Heimat.
Italien hatte die Bestie von Florenz.
Florenz war schon immer eine Stadt der Gegensätze. An einem lauen Frühlingsabend, wenn die untergehende Sonne die ehrwürdigen Paläste am Fluss vergoldet, kann sie einem als eine der schönsten und kultiviertesten Städte der Welt erscheinen. Doch im späten November nach zwei Monaten Dauerregen werden ihre uralten Paläste grau und schmutzig vor Nässe, und die schmalen, gepflasterten Straßen, die nach Abwasserkanälen und Hundekot stinken, sind zwischen grimmigen steinernen Fassaden und überhängenden Dächern eingeschlossen, die das ohnehin schon trübe Licht aussperren. Auf den Brücken über den Arno fließt im unaufhörlichen Regen ein steter Strom schwarzer Schirme dahin. Der Fluss, der im Sommer so zauberhaft wirkt, schwillt zu einer öligen braunen Suppe an, in der
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