Die Bestie von Florenz
Wahnsinn, ehe der Tod sie erlöste. Es näherte sich das Jahr 1500, was vielen als nette, runde Zahl für den Weltuntergang erschien. In diesem Klima fand Savonarola aufmerksame Zuhörer.
1494 marschierte Karl VIII. von Frankreich in die Toskana ein. Piero der Unglückliche, Nachfolger seines Vaters Lorenzo, erwies sich als arroganter und unfähiger Herrscher. Er kapitulierte und überließ Karl VIII. die Stadt zu erbärmlichen Bedingungen, ohne überhaupt eine anständige Verteidigung zu versuchen, was die Florentiner derart erboste, dass sie die Familie Medici vertrieben und ihre Paläste plünderten. Savonarola, der inzwischen eine große Schar von Anhängern gesammelt hatte, nutzte das Machtvakuum und erklärte Florenz zur »Christlichen Republik« und sich selbst zu deren Oberhaupt. Als Erstes belegte er den homosexuellen und analen Geschlechtsverkehr, unter kultivierten Florentinern beliebt und durchaus gesellschaftlich akzeptiert, mit der Todesstrafe. Missetäter, die dagegen verstießen, und andere Verbrecher wurden regelmäßig auf der Piazza della Signoria verbrannt oder vor den Toren der Stadt erhängt.
Der »verrückte Mönch« von San Marco hatte freie Hand, den religiösen Eifer der einfachen Stadtbevölkerung anzustacheln. Er wetterte gegen die Dekadenz, die Exzesse und den humanistischen Geist der Renaissance. Wenige Jahre später stiftete er die Leute zu seinen berühmten Feuern der Eitelkeiten an. Er schickte seine Gehilfen von Tür zu Tür und ließ sie Gegenstände beschlagnahmen, die er für sündig hielt – Spiegel, heidnische Bücher, Kosmetika, weltliche Noten und Musikinstrumente, Schachspiele, Karten, prächtige Kleidung und weltliche Gemälde. Alles wurde auf der Piazza della Signoria aufgehäuft und verbrannt. Der Künstler Botticelli, der unter Savonarolas Einfluss geriet, warf viele seiner eigenen Gemälde ins Feuer, und wahrscheinlich wurden neben anderen unschätzbaren Meisterwerken der Renaissance auch mehrere Werke von Michelangelo verbrannt.
Unter Savonarolas Herrschaft erlebte Florenz einen wirtschaftlichen Niedergang. Die Endzeit, die er ständig predigte, trat nicht ein. Statt Florenz für seine neu entdeckte Frömmigkeit zu segnen, schien Gott der Stadt den Rücken gekehrt zu haben. Das gemeine Volk, vor allem die Jungen und Untätigen, begannen sich offen seinen Erlassen zu widersetzen. 1497 begann ein Mob junger Männer während einer von Savonarolas Predigten zu randalieren. Der Krawall breitete sich rasch aus und wurde zu einem allgemeinen Aufstand, Tavernen öffneten wieder, das Glücksspiel blühte auf, und endlich kehrten Tanz und Musik in die krummen Gassen von Florenz zurück.
Savonarola entglitt die Kontrolle, er hielt immer wüstere und verdammendere Predigten, und er beging den fatalen Fehler, nun auch die Kirche selbst zu kritisieren. Der Papst exkommunizierte ihn und befahl seine Festnahme und Hinrichtung. Ein gehorsamer Mob überfiel das Kloster von San Marco, rannte sämtliche Türen ein, brachte einige von Savonarolas Ordensbrüdern um und schleifte ihn hinaus auf die Straße. Man beschuldigte ihn einer Vielzahl von Verbrechen, darunter »Irrglaube«. Nachdem man ihn mehrere Wochen lang auf der Streckbank gefoltert hatte, wurde er auf der Piazza della Signoria, eben da, wo er seine Feuer der Eitelkeiten entzündet hatte, ans Kreuz gekettet und verbrannt. Stundenlang wurde das Feuer geschürt, und dann wurden die letzten Überreste zerhackt und mehrmals mit brennenden Zweigen vermischt, damit kein Stück von ihm übrig blieb, das als Reliquie verehrt werden könnte. Seine Asche wurde dann in den allumarmenden, alles verschlingenden Arno gekippt.
Die Renaissance blühte wieder auf. Florenz setzte sein Leben in Blut und Schönheit fort. Aber nichts währt ewig, und im Lauf der Jahrhunderte verlor Florenz allmählich seinen Platz unter den bedeutendsten Städten Europas. Es verkam gewissermaßen zum Provinzstädtchen, berühmt für seine Vergangenheit, aber eher unsichtbar in der Gegenwart, während andere Städte in Italien an Bedeutung gewannen, vor allem Rom, Neapel und Mailand.
Die Florentiner von heute sind berüchtigt für ihre Verschlossenheit und gelten bei anderen Italienern als steif, hochmütig, dünkelhaft, übertrieben förmlich, rückwärtsgewandt und in der Tradition erstarrt. Sie sind nüchtern, pünktlich und fleißig. Tief in ihrem Inneren wissen die Florentiner, dass sie zivilisierter sind als andere Italiener. Sie haben der Welt alles
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