Die Bestie von Florenz
beiseite, kippte den Espresso mit einer scharfen Handbewegung hinunter, bestellte einen weiteren und steckte sich die Zigarette wieder zwischen die Lippen.
Wir begannen uns zu unterhalten, und Spezi sprach sehr langsam, aus Rücksicht auf mein erbärmliches Italienisch. Ich beschrieb ihm den Plot meines Buchs. Eine der Hauptfiguren sollte Offizier bei den Carabinieri sein, und ich bat ihn, mir zu erklären, wie die Carabinieri arbeiteten. Spezi beschrieb mir den Aufbau der Carabinieri, ihre militärischen Ränge, wodurch sie sich von der normalen Polizei unterschieden und wie sie bei Ermittlungen vorgingen, während ich mir Notizen machte. Er versprach, mich mit einem Colonnello der Carabinieri zusammenzubringen, der ein alter Freund von ihm war. Schließlich gerieten wir ins Plaudern über Italien im Allgemeinen, und er fragte mich, wo ich wohnte.
»In einem winzigen Ort namens Giogoli.«
Spezis Augenbrauen schossen förmlich in die Höhe. »Giogoli? Das kenne ich gut. Wo genau?«
Ich nannte ihm die Adresse.
»Giogoli … ein bezauberndes altes Dorf. Es ist für drei Wahrzeichen berühmt. Vielleicht kennen Sie sie schon?«
Ich kannte sie nicht.
Mit leicht belustigtem Lächeln fing er an zu erzählen. Die erste Sehenswürdigkeit war die Villa Sfacciata, wo einer seiner eigenen Vorfahren, Amerigo Vespucci, gelebt hatte. Vespucci war der Florentiner Navigator, Kartograph und Entdecker, der als Erster erkannte, dass sein Freund Christoph Kolumbus nicht eine unbekannte Küste Indiens, sondern einen brandneuen Kontinent entdeckt hatte. Nach ihm, Amerigo (Americus auf Latein), wurde diese Neue Welt benannt. Das zweite Wahrzeichen, fuhr Spezi fort, war ebenfalls eine Villa, genannt I Collazzi, mit einer Fassade, die angeblich von Michelangelo gestaltet worden war; Prinz Charles und Diana hatten Urlaub in dieser Villa gemacht, und dort hatte der Prinz viele seiner Aquarelle der toskanischen Landschaft gemalt.
»Und die dritte Berühmtheit?«
Spezis Lächeln wurde noch breiter. »Das ist der interessanteste Ort von allen. Er liegt direkt vor Ihrer Haustür.«
»Vor unserer Tür liegt nur ein Olivenhain.«
»Genau. Und in diesem Olivenhain hat sich einer der grauenvollsten Morde der italienischen Kriminalgeschichte ereignet. Ein Doppelmord, begangen von unserer Version von Jack the Ripper.«
Als Krimiautor war ich eher fasziniert als bestürzt.
»Ich habe ihm seinen Namen gegeben«, erzählte Spezi. »Ich habe ihn il Mostro di Firenze genannt, die Bestie von Florenz. Ich habe von Anfang an über den Fall berichtet. Bei La Nazione hieß ich bald nur noch der ›Bestiologe‹.« Er lachte, ein plötzliches, unbekümmertes Gackern, und Rauch zischte zwischen seinen Zähnen hervor.
»Erzählen Sie mir von dieser Bestie von Florenz.«
»Sie haben noch nie von ihr gehört?«
»Nein, noch nie.«
»Ist die Geschichte in Amerika denn nicht bekannt?«
»Dort kennt sie kein Mensch.«
»Das überrascht mich. Sie kommt mir vor wie … eine beinahe amerikanische Geschichte. Und sogar Ihr FBI war darin verwickelt – diese Verhaltensforscher, die durch Das Schweigen der Lämmer so berühmt geworden sind und die man heute ›Profiler‹ nennt. Ich habe Thomas Harris sogar bei Gericht gesehen, er hat sich Notizen auf so einem gelben Schreibblock gemacht. Es heißt, er hätte Hannibal Lecter nach dem Vorbild der Bestie von Florenz geschaffen.«
Jetzt war ich wirklich neugierig geworden. »Erzählen Sie mir die ganze Geschichte.«
Spezi kippte seinen zweiten Espresso hinunter, zündete sich noch eine Gauloises an und sprach durch Rauchwolken hindurch. Als er beim Erzählen in Fahrt geriet, holte er ein Notizbuch und einen abgegriffenen goldenen Stift aus der Tasche und begann, die Geschichte grafisch nachzuzeichnen. Der Stift huschte und schoss über das Papier, zeichnete Pfeile und Kreise und Kästchen und gestrichelte Linien, illustrierte die komplexen Verbindungen zwischen den Verdächtigen, den Morden, den Verhaftungen, den Prozessen und den vielen Sackgassen der Ermittlungen. Es war eine lange Geschichte, und während er leise erzählte, füllte sich allmählich die leere Seite seines Notizbuchs.
Ich hörte zu, erst überrascht, dann staunend. Als Krimiautor hielt ich mich für einen Connaisseur finsterer Storys. Ganz sicher hatte ich schon eine Menge davon gehört. Aber während sich die Geschichte der Bestie von Florenz vor mir entfaltete, wurde mir klar, dass sie etwas Besonderes war. Eine Geschichte, die eine ganz
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