Die blonde Geisha
…”
“Nein! Sie werden uns nicht finden. Das werden sie nicht!”
Er drückte mich fester an sich bis ich kaum noch Luft bekam. Ich begriff nicht, warum er so aufgewühlt war. Wovon sprach er? Wohin wollte er mich bringen?
“Verurteile mich nicht, Kathlene. Du musst wissen, dass ich sehr lange darüber nachgedacht habe, was ich tun soll, und auch wenn du dadurch ein Leben kennen lernst, das mir nicht gefällt, habe ich keine andere Wahl.”
“Wohin gehen wir?”
“Zum Teehaus von Mikaeri Yanagi.”
“ Mikaeri Yanagi”, wiederholte ich. “Was bedeutet das. Den Namen habe ich noch nie gehört.”
“Das Teehaus des Sehnsuchtsbaumes.”
Sehnsuchtsbaum? Sehnsucht wonach?
“Simouyé wird dich verstecken”, fuhr er fort. “Da bin ich mir sicher.”
“ Simouyé?” Ich bemerkte mit Interesse, dass mein Vater nicht das traditionelle ehrende san dem Namen hinzufügte. Ein Name, der mir nichts sagte, aber sehr angenehm in meinen Ohren klang, so wie Vater ihn aussprach.
Mein Vater drückte meine Hand. “Simouyé ist eine wunderbare Freundin, Kathlene, eine Frau, der ich mein teuerstes Gut anvertrauen kann.” Er sah mit Zärtlichkeit auf mich hinunter.
“Vater …?” begann ich. Wer war diese Simouyé? Eine Lehrerin? Eine Freundin? Oder sogar mehr als eine Freundin? Etwas Geheimnisvolles?
Eine Geisha? Oh …
“Ja, Kathlene?”
Ich holte tief Luft, dann fand ich den Mut, die Frage zu stellen: “Hast du schon jemals ein Geisha-Haus besucht?”
Verblüfft über meine Frage schluckte er schwer, zögerte, und antwortete dann mit einem nüchternen Satz: “Eine Geisha ist eine Frau von größter Vornehmheit und untadeliger Moral.”
“Ich möchte eine Geisha werden”, sagte ich mit der Zuversicht meiner Jugend.
Angesichts dieser Worte schien er schockiert. “Du? Meine Tochter eine Geisha? Das ist unmöglich. Du bist eine Gaijin, eine Ausländerin. Nach der Tradition kann eine Gaijin niemals Geisha werden”, sagte er und zog mich an meinem blonden Haar.
Eine Traurigkeit, die mein Vater nicht bemerkte, überkam mich, meine Schultern sanken nach unten, mein Lächeln verblasste. Meinen Vater hingegen schien mein Wunsch, Geisha zu werden, zu amüsieren, er sank zurück in den Sitz und atmete tief durch.
Seine Worte klangen in meinen Ohren nach.
Eine Gaijin kann niemals Geisha werden, hatte er gesagt.
Doch ich glaubte ihm nicht. Wenn wir all diese Schwierigkeiten hinter uns hatten, würde ich es ihm beweisen. Wenn ich endlich erwachsen war …
Moment mal!
Irgendetwas Außergewöhnliches geschah da draußen. Ich lugte wieder hinter dem Vorhang hervor, fasziniert von den elegant aussehenden, getäfelten Häusern entlang des Kanals. Die roten Papierlaternen auf den Veranden schwangen vor und zurück. Große, japanische Schriftzeichen tanzten auf den Laternen. Der Regen verwischte die Worte, man konnte sie aber noch immer entziffern. Es waren Namen. Mädchennamen. Ich erinnerte mich an ähnliche Laternen in dem Geisha-Viertel Shinbashi in Tokio.
Aus Büchern wusste ich, wo wir uns befanden und lächelte. Nahe Gion in Ponto-chô, dem Geisha-Viertel in der Nähe des Flusses Kamo. Ein Schauer durchfuhr mich, wir befanden uns also an einem magischen Ort.
Aufgeregt rutschte ich auf dem Sitz ganz nach vorne und streckte den Kopf aus dem Fenster. Dicke Regentropfen platschten auf meine Nase, meine Augenlider und meine Lippen, ich schmeckte die Fremdartigkeit dieses Ortes. Ich ließ meinen Blick von einem Haus zum nächsten schweifen. Alles an der Welt der Geishas faszinierte mich. Ich fragte mich, welches wohl das Teehaus des Sehnsuchtsbaumes war. Der Junge rannte noch immer, und mehr als einmal warf er mir einen Blick zu.
Sein Anblick vergrößerte meine Begeisterung darüber, mich in dem Teehaus zu verstecken, nur noch mehr. Wenn dieser Junge rennen und rennen und rennen konnte, welche Freuden konnte er einem dann erst auf einem seidigen Futon bereiten …
Was, wenn ich Geisha wäre und er mein Liebhaber?
Welche Wonnen verbargen sich unter diesem winzigen Stück Stoff, das seine Männlichkeit kaum verhüllte?
Ich lehnte mich zurück, Donner grollte über uns. Ich hatte keine Angst. Der Klang des Regens, der aus zerrissenen Wolken fiel, ließ mich an einen Samurai-Krieger denken, der sein männliches Schwert in eine seufzende Jungfrau stieß.
Mit geschlossenen Augen wünschte ich mir, mein Aussehen ändern zu können, stellte mir vor, der Regen könnte mir das Gesicht einer Geisha formen mit den
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