Die Blüte des Eukalyptus
EINS
J ake Andersen kniff die Augen zusammen. Die letzte Etappe der verlassenen Straße lag im grellen Sonnenlicht vor ihm. Die Landschaft ringsum bestand buchstäblich nur aus Himmel, dessen Blau so intensiv war, dass er dem versengten Grasland das letzte bisschen Farbe raubte. Jake war auf dem Weg nach Hause.
Nach Hause. Jenny . Sein Herz schlug vor Sehnsucht nach ihr schneller. Quälende Bilder flimmerten vor seinen Augen … Jenny, die auf ihn zutanzte … die wie ein Kind auf einem Schemel stand, um ihm das Halstuch zuzuknoten … die Glut des Feuers, die auf ihrem Rücken schimmerte, wenn sie neben dem Kamin in der Wanne badete … ihr aufreizendes Lächeln, wenn sie die Kerze auf ihrem Nachttisch ausblies … ihr vollkommener Körper, wie der einer nackten Göttin im Dunkeln …
Die Erinnerung an sie war so lebendig, dass Jake beinahe ihr französisches Parfüm riechen konnte, ein Luxus, der für Jenny wichtiger war als das tägliche Brot.
Er zählte die Monate, Wochen und Tage, seit er aufgebrochen war, um das Vieh nach Süden zu treiben. Jenny erwartete keine Briefe von ihm; sie wusste, dass er das Schreiben wegen seiner dürftigen Schulausbildung scheute. Aber ebenso war ihr bewusst, dass er mit Leib und Seele ihr gehörte. Je länger er mit dem Vieh unterwegs war, umso lebhafter wurden für Jake die Erinnerungen. Er wünschte, er hätte ein kleines Bild von ihr in der Tasche. Eines Tages würde er einen Künstler beauftragen, seine Frau zu malen.
Ein wohliger Schauer durchfuhr ihn, als er an die Stunde seines Aufbruchs zurückdachte. Morgengrauen. Er war einen Moment an der Tür des Schlafzimmers stehen geblieben. Bei Jennys
Anblick, den über den Kopf liegenden Armen, der Wölbung der Brüste unter der zarten Spitze ihres Nachthemds, war ihm der Atem gestockt. Ihr goldenes Haar breitete sich über das Kopfkissen aus wie das einer unter Wasser schwebenden Meerjungfrau.
Durch den Schleier ihres Haars hatte Jenny scherzhaft die rituellen Abschiedsworte gemurmelt: »Wirst du mich immer und ewig lieben, Jakey?«
Seine Antwort war wie immer ernst gemeint. Und nun, auf dem Weg nach Hause, wiederholte er sie stumm. »Bis ans Ende aller Tage und noch darüber hinaus, Jenny.«
Jake wusste, dass er nie aufgebrochen wäre, wenn er sie in dem Moment geküsst hätte. Doch er hatte keine Wahl gehabt. Er hätte es sich nicht leisten können, Ogdens Angebot, eine Rinderherde nach Süden zu treiben, auszuschlagen. An diesen Augenblick, kurz bevor er das Haus verlassen hatte, musste er jetzt denken.
Im Flur hatte er ein leises Flüstern gehört und sich umgedreht.
Auf dem Treppenabsatz stand die kleine Pearl, barfuß in ihrem Nachthemd, die kurzen O-Beinchen fest in den Boden gestemmt. Das blonde Haar rahmte ihr sonniges Lächeln ein, als sie die Arme ausstreckte und einen Schritt nach vorn machte. Jake war gerade noch rechtzeitig hinaufgesprungen, um ihren Sturz aufzufangen.
»Du musst warten, bis du ein großes Mädchen bist, bevor du allein die Treppen hinuntergehst, Prinzessin.«
Er hatte sie auf den Scheitel geküsst, während ihr kleiner Hund Flash ihr das Gesicht leckte. Pearl hatte eine von Jakes langen Haarlocken sanft hinter sein Ohr zurückgesteckt, wie sie es oft tat. Er hatte sie wieder in ihr Kinderzimmer unterm Dach gebracht und versprochen, ihr bei seiner Rückkehr eine neue Puppe mitzubringen …
Jake warf einen Blick auf seine Satteltasche und stellte sich vor, wie sie sich über seine Geschenke freuen würden. Sogar für Jennys Mutter hatte er etwas dabei.
Bei dem Gedanken an Mrs. Tory verdüsterte sich seine Miene.
Um sie gütlich zu stimmen, braucht es mehr als eine Kiste Zuckerpfläumchen. Die alte Hexe lässt mich nie vergessen, dass Jenny unter ihren Möglichkeiten geheiratet hat. Wegen meines »doppelten Makels«, weil Ma und Pa beide Strafgefangene waren. Trotzdem hat sie mir den Gefallen getan, auf meine beiden Hübschen aufzupassen, und deshalb werde ich den Mund halten .
Während Jake die Sydney Road entlangritt, fragte er sich, wie es Jenny während seiner Abwesenheit ergangen sein mochte. Die Beete in ihrem heiß geliebten Garten hinter der Hütte mussten mittlerweile in voller Blüte stehen. Jake hatte sie mit englischen Blumen bepflanzt, um sie an ihre Jugend in Devon zu erinnern. Er malte sich aus, wie Pearl und Flash im Garten herumtollten und sie mit einem Auge auf das Gartentor schielte, wo sie ihn erwartete.
Während des gesamten Trecks hatte Jake seine Ängste
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