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Die Brandungswelle

Die Brandungswelle

Titel: Die Brandungswelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudie Gallay
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Etiketten. Und ein Schild aus Emaille: Bitte die Tür schließen . Das stammte von früher, als das Haus noch ein Hotel gewesen war.
    Später wurden hier möblierte Zimmer vermietet.
    Die Leute waren alle weggegangen. Die Etiketten waren geblieben.
    Ein ausgestopfter Hund stand auf einem Regalbrett über der Tür. Raphaëls Hund. Er hieß Diogène. Angeblich war er vor langer Zeit in einer Gewitternacht gestorben – vor Angst. Die Panik hatte ihm den Magen umgedreht. Das kommt bei Hunden manchmal vor.
    Ich ging mit vorsichtigem Schritt die Treppe herunter, die Hand um das Geländer geklammert.

    Raphaël stand im Flur. Er hatte die Haustür einen Spalt geöffnet, versuchte hinauszusehen, vor die Griffue . Es war zu dunkel, zu viel Wind und einfach unmöglich, auch nur ein Stück vom Hof zu erkennen.
    Er schloss die Tür wieder.
    »Wir müssen warten.«
    »Was ist denn da passiert?«, fragte er, als er meine Wange sah.
    Ich legte die Hand drauf.
    »Das war ein Stück Blech, das durch die Luft geflogen ist …«
    »War es verrostet?«
    »Ein bisschen …«
    »Hast du es desinfiziert?«
    »Ja.«
    Er sah sich die Wunde an und verzog das Gesicht. Er hatte zwei Jahre in den Slums von Kalkutta verbracht. Ab und zu sprach er davon, was er dort gesehen hatte.
    »Bist du geimpft?«
    »Ich habe Alkohol draufgemacht.«
    Er zuckte mit den Achseln.
    Der Fernseher lief. Morgane schlief zusammengerollt auf dem Sofa, eine Hand geschlossen vor dem Mund. Mit ihren runden Hüften und den schweren Brüsten glich sie einer Skulptur von Botero. Die Ratte schlief bei ihr, versteckt zwischen den üppigen Bauchfalten.
    Raphaël ging zu seiner Schwester.
    »Ich frage mich, wie sie bei so einem Getöse schlafen kann.«
    Er hob eine Haarsträhne hoch, die über ihrem Gesicht lag, und strich sie hinter ihr Ohr. Eine unendlich zärtliche Geste. Die Strähne fiel wieder nach vorn.
    Er wandte sich ab.
    Er kochte Kaffee.

    Seine Bewegungen waren langsam. Er hatte Zeit, wie alle hier.
     
    Morgane roch den Kaffee. Sie gähnte und schob die Decke weg, ohne wirklich die Augen zu öffnen. Dann schleppte sie sich bis zu uns.
    »Morgen, ihr beiden.«
    Ihr Haar war zerzaust, der Rock zu kurz über zu breiten Hüften. Sie schmiegte sich an ihren Bruder.
    »Heut Nacht hat’s ein bisschen geknallt«, sagte sie.
    Raphaël lächelte.
    »Ein bisschen, stimmt …«
    Ich sah sie an. Ich war knapp über vierzig, Raphaël knapp darunter. Morgane war die Jüngste, dreißig im Juli. Ein Nachzügler, pflegte sie zu sagen, das sind die Schönsten!
    Sie trank einen Schluck aus Raphaëls Tasse. Das machte sie oft. So wie ich bei dir. Früher. Morgens. Ich habe mich an dich gedrückt, weil ich deine Wärme brauchte. Danach war dir immer so kalt gewesen, bis du es nicht mehr ertragen hast.

R aphaël machte die Tür auf. Wir sahen uns an und gingen los, alle drei, seltsame Überlebende, die Füße in unseren Stiefeln. Überall lagen Äste. Riesige Pfützen. Der Wind pfiff immer noch, aber er hatte an Kraft verloren. Das Boot von Max hatte standgehalten, da lag es, geborgen unter seinem Schutzdach, gut verkeilt.
    Wir liefen einmal ums Haus, dann in den Garten. Meerseite. Es roch nach Salz.
    Ich fand den zerfetzten Körper der großen Möwe, die gegen meine Scheibe geprallt war. Halbe Balken, zerbrochene Kisten.
    Die Wellen hatten nachgelassen. Das Ufer war mit einer dicken gelben Schaumschicht bedeckt, darin überall Algen in Büscheln wie kräftige Haarball, die jemand dort ausgespien hatte.
    Die alte Nan stand auf der Mole, die Arme über dem Bauch gekreuzt. Dort, lange vor allen anderen, aufrecht, reglos, ihr Kruzifix in der Hand, stellte sie sich dem Meer entgegen. Sie trug ihr Sturmgewand, ein langes schwarzes Kleid, ein dicker Stoff; wer sie kannte, sagte, dass man darin mit schwarzem Faden gestickte Wörter lesen könne. Wortfäden. Und dass diese Wörter ihre Geschichte erzählten.
    Nans Geschichte.
    Man sagte auch, dass sie einst einen anderen Namen gehabt
habe, dass aber die Ihren diesen Namen mitgenommen hätten. Ihre Toten, eine ganze Familie, im Meer verschwunden. Sie stand dort, weil sie glaubte, dass das Meer sie ihr eines Tages zurückgeben würde.
    Die ersten Autos kamen zum Hafen. Leute aus dem Dorf. Ein Fischer erzählte, dass ein Frachtschiff auf dem Weg nach Norden eine Ladung Bretter verloren habe und dass der Wind sie nun hierhertreibe. Die Nachricht sprach sich schnell herum. Ein Traktor hielt am Straßenrand, so nah am Strand wie möglich. Ein

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