Die Brücke am Kwai
ein.
Sie sind vorübergegangen. Shears wischt sich das Gesicht ab. Sie entfernen sich. »Sie haben nichts gesehen.« Er wiederholt mechanisch diese Worte mit leiser Stimme, um sich noch mehr von diesem Wunder zu überzeugen. Er folgt ihnen argwöhnisch und läßt keinen Blick von ihnen, bis sie wieder die Kompanie erreicht haben. Ehe er sich wieder neuer Hoffnung überläßt, durchfährt ihn ein seltsames Gefühl von Stolz.
»Ich an ihrer Stelle«, murmelte er, »wäre nicht so nachlässig gewesen. Jeder englische Soldat hätte diese Sabotage entdeckt … Gott sei Dank! Der Zug kann nicht mehr weit sein.«
Wie eine Antwort auf diesen letzten Gedanken werden auf dem feindlichen Ufer jetzt mit rauhen Stimmen Befehle gegeben. Unter den Mannschaften entsteht Unruhe. Shears blickt ins Weite. Eine kleine schwarze Rauchwolke am Horizont der Ebene läßt die Ankunft des japanischen Transportzuges erkennen, der die thailändische Landschaft durchfährt; es ist der erste, mit Truppen, Munition und hohen japanischen Generalen beladene Zug, der die Brücke am Kwai-Fluß überqueren soll.
Shears wird das Herz weich. Tränen der Dankbarkeit gegenüber der geheimnisvollen Macht rinnen ihm aus den Augen.
»Jetzt kann uns nichts mehr den Weg versperren«, sagt er noch mit leiser Stimme. »Das Unvorhergesehene hat seine letzten Tricks erschöpft. In zwanzig Minuten wird der Zug da sein.«
Er meistert seine Erregung und steigt wieder den Berg hinab, um den Befehl über den Deckungstrupp zu übernehmen. Während er gebückt durch das Buschwerk dahinschreitet, aufmerksam darauf achtend, seine Anwesenheit nicht zu verraten, sieht er auf dem gegenüberliegenden Ufer einen stattlich aussehenden Offizier in der Uniform eines britischen Obersten, der sich der Brücke nähert.
Im gleichen Augenblick, in dem »Number One« wieder seinen Posten einnimmt, während sein Verstand noch von diesem Sturzbach von Gemütsbewegungen verwirrt ist und seine Sinne, das Geschehen vorwegnehmend, schon völlig damit beschäftigt sind, den blitzartigen Krach mit all den dazu gehörigen aufzuckenden Flammen und Trümmern, die den Erfolg verkörpern, zu erleben, in diesem Augenblick begibt sich Oberst Nicholson seinerseits auf die Brücke über den Kwai-Fluß.
Er war mit seinem Gewissen, mit der Welt und mit seinem Gott versöhnt. Seine Augen leuchteten heller als der tropische Himmel nach einem Gewitter. Mit allen Poren seiner rötlichen Haut kostete er die Genugtuung der wohlverdienten Ruhe aus, wie sie sich der gute Handwerker nach einer schwierigen Arbeit gönnt, stolz darauf, durch Mut und Ausdauer alle Hindernisse überwunden zu haben. Er war geschwollen vor Dünkel über das von ihm und seinen Soldaten in diesem Winkel von Thailand, der ihm jetzt fast annektiert vorkam, vollendete Werk. Sein Herz war beschwingt bei dem Gedanken, sich seiner Vorfahren würdig erwiesen und den abendländischen Legenden von den Gründern großer Reiche eine recht ungewöhnliche Episode hinzugefügt zu haben. Er war fest überzeugt, daß niemand es viel besser hatte machen können als er, und fühlte sich geborgen in der Gewißheit, daß die Menschen seiner Rasse auf allen Gebieten überlegen sind. Er war glücklich darüber, in sechs Monaten eine aufsehenerregende Tat vollbracht zu haben. Im Hochgefühl jener Freude, die alle Strapazen eines Vorgesetzten wettmacht, wenn sich das triumphierende Ergebnis zum Greifen nahe vor ihm aufreckt, stolzierte er einher. Genießerisch kostete er in kleinen Schlucken den Wein des Sieges… Er war durchdrungen von der erstklassigen Qualität des Werkes, und ihn trieb das Verlangen, noch ein letztes Mal allein, ehe das ehrenvolle Schauspiel einsetzte, sämtliche in schwerer Arbeit und durch Intelligenz vollbrachten Glanzleistungen mit eigenen Augen zu überprüfen und auch eine allerletzte Inspektion vorzunehmen. In dieser geistigen Verfassung näherte sich Oberst Nicholson mit majestätischen Schritten der Brücke über den Kwai-Fluß.
Die Mehrzahl der Gefangenen und sämtliche Offiziere waren zwei Tage vorher zu Fuß in ein Sammellager abgerückt, von wo sie nach Malakka, auf die Inseln oder nach Japan befördert werden sollten, um dort weitere Arbeiten zu vollbringen. Die Eisenbahnlinie war fertiggestellt. Das Fest, zu dem Seine Gnädige Kaiserliche Majestät in Tokio die Genehmigung erteilt hatte und das bei allen Truppen in Burma und Thailand feierlich begangen werden mußte, hatte die Beendigung der Arbeit unterstrichen.
Es
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