Die Brüder Karamasow
Mamachen und Ninotschka auf den Wagen, Iljuschetschka lasse ich kutschieren, und ich selbst gehe zu Fuß: so bewerkstellige ich unseren Umzug ... O Gott, wenn ich nur die eine kleine Summe zurückerhalten könnte, die ich hier jemandem geliehen habe und für verloren ansehen muß! Dann würde es vielleicht auch dazu reichen?«
»Es wird reichen, es wird reichen!« rief Aljoscha. »Katerina Iwanowna wird Ihnen noch mehr geben. Soviel Sie brauchen. Und wissen Sie, ich habe auch etwas Geld – nehmen Sie, soviel Sie brauchen! Betrachten Sie mich als Ihren Bruder, als Ihren Freund! Sie können es mir später wiedergeben, denn sie werden reich werden, ja reich werden! Und wissen Sie, Sie konnten sich gar nichts Besseres ausdenken als diesen Umzug in ein anderes Gouvernement! Das ist Ihre Rettung, und vor allem die Rettung Ihres Sohnes! Und wissen Sie, führen Sie den Plan recht bald aus, noch vor dem Winter, ehe es kalt wird! Und dann schreiben Sie uns von dort, und wir wollen Brüder bleiben! Nein, das ist keine Träumerei!«
Aljoscha wollte ihn schon umarmen, so zufrieden war er. Doch als er ihn ansah, zögerte er plötzlich. Der Stabskapitän,
stand da mit gestrecktem Hals, vorgeschobenen Lippen und entstelltem, blassem Gesicht und bewegte die Lippen, als ob er etwas sagen wollte. Es war aber kein Laut zu hören, er bewegte nur die Lippen. Es war ein seltsamer Anblick.
»Was haben Sie?« fragte Aljoscha erschrocken.
»Alexej Fjodorowitsch, ich ... Sie ... », murmelte der Stabskapitän stockend und starrte ihn sonderbar wild an. Seine Miene war die eines Menschen, der sich entschlossen hat, von einem Berg hinabzustürzen, gleichzeitig aber lag auf seinen Lippen eine Art von Lächeln. »Ich ... Sie ... Wenn es Ihnen recht ist, werde ich Ihnen jetzt ein kleines Kunststück vormachen!« flüsterte er plötzlich schnell – diesmal fest und ohne zu stocken.
»Was denn für ein Kunststück?«
»Ein kleines Kunststück, so einen Hokuspokus«, antwortete der Stabskapitän immer noch flüsternd. Sein Mund hatte sich ganz nach links gezogen, das linke Auge war zugekniffen: So sah er Aljoscha unverwandt an, als ob seine Blicke an ihm festgenagelt wären.
»Was haben Sie bloß? Und von was für einem Kunststück reden Sie?« rief Aljoscha, nunmehr tief beunruhigt.
»Da haben Sie es, sehen Sie her!« kreischte der Stabskapitän auf einmal.
Er zeigte ihm die beiden regenbogenfarbenen Banknoten, die er während des ganzen Gesprächs an einer Ecke zwischen Daumen und Zeigefinger der rechten Hand gehalten hatte, zerknitterte sie plötzlich, in einem Anfall von Wut und preßte sie in der rechten Faust zusammen.
»Haben Sie es gesehen, haben Sie es gesehen?« schrie er blaß und außer sich. Dann hob er die Faust und schleuderte die zusammengeknüllten Banknoten mit vollem Schwung in den Sand. »Haben Sie es gesehen?« kreischte er wieder und zeigte mit dem Finger auf sie. »Nun, dann sehen Sie weiter!«
Da hob er den rechten Fuß und begann in blinder Wut mit dem Absatz darauf zu stampfen, und bei jedem Fußtritt schrie und keuchte er.
»Da haben Sie Ihr Geld! Da haben Sie Ihr Geld! Da haben Sie Ihr Geld. Da haben Sie Ihr Geld!«
Dann sprang er zurück und richtete sich vor Aljoscha auf; in seiner ganzen Haltung drückte sich ein unbeschreiblicher Stolz aus.
»Melden Sie denen, die Sie geschickt haben, der Bastwisch verkauft seine Ehre nicht!« kreischte er, die Arme in die Luft gereckt.
Dann drehte er sich rasch um und lief weg. Doch er war noch keine fünf Schritte gelaufen, da drehte er sich noch einmal um und warf Aljoscha eine Kußhand zu. Dann, nachdem er abermals kaum fünf Schritte gelaufen war, drehte er sich zum letztenmal um; diesmal zeigte sein Gesicht kein schiefes Lächeln mehr, es zuckte unter Tränen. Weinend rief er hastig mit stockender, fast versagender Stimme: »Was sollte ich denn meinem Jungen sagen, wenn ich von Ihnen Geld für unsere Schande angenommen hätte?« Nach diesen Worten lief er weg, ohne gleich nochmals umzudrehen.
Aljoscha sah ihm zutiefst betrübt nach. Er begriff, daß der Stabskapitän bis zum letzten Augenblick selbst nicht gewußt hatte, daß er die Geldscheine zerknüllen und auf die Erde schleudern würde. Er wandte sich kein einziges Mal mehr um, und Aljoscha wußte, er würde es auch nicht mehr tun. Ihm folgen oder ihm etwas nachrufen wollte er nicht: er wußte, warum. Doch als der Stabskapitän außer Sichtweite war, hob Aljoscha die Banknoten auf. Sie waren nur stark
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