Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Brüder Karamasow

Die Brüder Karamasow

Titel: Die Brüder Karamasow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
Vom Netzwerk:
du mir diese Frage, Aljoscha. Die Zeit drängt – was du bestimmst, soll geschehen. Soll ich ihm verzeihen oder nicht?«
    »Du hast ihm ja schon verziehen«, erwiderte Aljoscha lächelnd.
    »Ja, ich habe ihm wirklich verziehen«, sagte Gruschenka nachdenklich. »Was für ein nichtswürdiges Herz ich habe! Ich trinke auf mein nichtswürdiges Herz!« rief sie, griff plötzlich nach einem Glas, trank es, ohne abzusetzen, aus, hob es hoch und schleuderte es mit einem Schwung auf den Boden. Das Glas zerbrach klirrend. Ein leiser Zug von Grausamkeit tauchte flüchtig in ihrem Lächeln auf. »Aber vielleicht habe ich ihm doch noch nicht verziehen«, sagte sie in beinahe drohendem Ton. Sie senkte die Augen und redete wie im Selbstgespräch. »Vielleicht bereitet sich mein Herz nur erst darauf vor, ihm zu verzeihen. Ich ringe noch mit meinem Herzen ... Siehst du, Aljoscha, ich habe die Tränen, die ich in diesen fünf Jahren geweint habe, furchtbar liebgewonnen ... Vielleicht liebe ich nur das Unrecht, das er mir angetan hat, und gar nicht ihn?«
    »Na, ich möchte nicht in seiner Haut, stecken!« zischte Rakitin.
    »Du wirst auch niemals in seiner Haut stecken, Rakitka. Du wirst Schuhe für mich machen, Rakitka! Zu so einem Dienst werde ich dich verwenden. Aber so eine Frau wie ich wird dir nie zufallen. Und ihm vielleicht auch nicht ... »
    »Ihm auch nicht? Wieso hast du dich dann so herausgeputzt?« höhnte Rakitin boshaft.
    »Halte mir nicht meine Kleidung und meinen Schmuck vor, Rakitka – du kennst mein ganzes Herz noch nicht! Wenn ich will, reiße ich sofort alles vom Körper, augenblicklich!« schrie sie laut. »Du weißt nicht, wozu das alles dienen soll, Rakitka! Vielleicht werde ich zu ihm gehen und zu ihm sagen: ›Hast du mich schon so gesehen oder noch nicht?‹ Er hat mich ja als siebzehnjähriges schmächtiges, weinerliches Mädchen verlassen. Und dann werde ich mich zu ihm setzen, ihn bezaubern und wild machen. ›Siehst du, was ich jetzt für eine Frau bin?‹ werde ich dann zu ihm sagen. ›Na, und nun laß dir den Appetit vergehen, werter Herr! Ich habe dir nur den Mund wässerig machen wollen, bekommen wirst du mich nicht!‹ Siehst du, dazu soll das alles vielleicht dienen, Rakitka«, schloß Gruschenka mit boshaftem Lachen. »Ich bin ein wütendes, jähzorniges Weib, Aljoscha. Ich werde meine Kleider zerreißen, mich verstümmeln, meine Schönheit vernichten, mein Gesicht verbrennen und mit dem Messer zerschneiden und dann betteln gehen. Wenn es mir einfällt, werde ich jetzt nirgendwohin und zu niemand gehen. Wenn es mir einfällt, werde ich gleich morgen dem alten Kusma all seine Geschenke und all sein Geld zurückschicken und mein restliches Leben als Tagelöhnerin arbeiten! Denkst du, ich würde das nicht tun, Rakitka? Ich würde nicht wagen, das zu tun? Ich werde es tun, ich werde es tun, in diesem Augenblick kann ich es tun, reizt mich nur nicht! Und den andern werde ich wegjagen und ihm eine lange Nase machen! Der soll mich nicht bekommen!«
    Diese letzten Worte schrie sie fast hysterisch; wiederum verlor sie die Herrschaft über sich, bedeckte das Gesicht mit den Händen, warf sich auf das Kissen und schluchzte wieder, daß ihr ganzer Körper zuckte.
    Rakitin stand auf.
    »Es wird Zeit«, sagte er. »Es ist schon spät, man läßt uns sonst nicht mehr ins Kloster hinein.« Gruschenka sprang hastig auf. »Willst du wirklich weggehen, Aljoscha?« rief sie erstaunt und betrübt. »Was tust du mir an? Du hast mich zur Besinnung gebracht, hast mich gequält – und jetzt kommt wieder die Nacht, und ich soll wieder allein bleiben!«
    »Er kann doch nicht bei dir übernachten? Aber wenn du willst, meinetwegen! Dann werde ich eben allein weggehen!« neckte Rakitin sie boshaft.
    »Schweig, du schlechter Mensch!« schrie Gruschenka ihn zornig an.«Nie hast du mir solche Worte gesagt wie er.«
    »Was hat er denn so Besonderes gesagt?« brummte Rakitin gereizt.
    »Ich weiß es nicht, ich erinnere mich nicht. Er hat zu meinem Herzen gesprochen, das Herz hat er mir umgekehrt ... Er ist der erste und einzige Mensch, der mit mir Mitleid gehabt hat, das ist es! Warum bist du nicht früher gekommen, mein Engel?« Sie fiel plötzlich wie verzückt vor ihm nieder auf die Knie. »Mein ganzes Leben habe ich auf einen solchen Menschen wie dich gewartet! Ich wußte, daß ein solcher kommen und mir verzeihen wird! Ich glaubte, daß auch mich, so gemein ich bin, jemand liebgewinnen wird, und nicht für einen

Weitere Kostenlose Bücher