Die Brüder Karamasow
Gedanken ... »Ohne Freude kann man nicht leben«, sagt Mitja ... ja, Mitja ... Alles, was aufrichtig und schön ist, ist stets auch voll von verzeihender Liebe ... Auch das hat er gesagt ...
»Jesus spricht zu ihr: Weib, was habe Ich mit dir zu schaffen? Meine Stunde ist noch nicht gekommen. Seine Mutter spricht zu den Dienern: Was Er euch saget, das tut ...«
Das tut ... Zur Freude irgendwelcher armen, sehr armen Leute ... Gewiß waren sie arm, wenn sie nicht einmal zur Hochzeit genug Wein hatten ... Die Geschichtsschreiber berichten, um den See Genezareth herum und in jener Gegend habe damals die armseligste Bevölkerung gelebt, die man sich denken kann ... Und ein anderes großes Herz, das Herz seiner Mutter, wußte, daß Er damals nicht nur um seiner großen, furchtbaren Tat willen herabgekommen war, sondern daß sein Herz auch der einfachen, schlichten Fröhlichkeit jener geringen und harmlosen Leute zugänglich war, die Ihn freundlich zu ihrer dürftigen Hochzeit eingeladen hatten. »Meine Stunde ist noch nicht gekommen.« Das sagt Er mit stillem Lächeln, zweifellos hat Er ihr sanft zugelächelt ... In der Tat, ist Er wirklich auf die Erde gekommen, um den Wein auf den Hochzeiten armer Leute zu mehren? Und doch ist Er hingegangen und hat es auf die Bitte seiner Mutter getan ... Ach, er liest wieder ...
»Jesus spricht zu ihnen: Füllet die Wasserkrüge mit Wasser! Und sie fülleten sie bis obenan. Und Er spricht zu ihnen: Schöpfet nun und bringet's dem Speisemeister! Und sie brachten's. Als aber der Speisemeister kostete den Wein, der Wasser gewesen war, und wußte nicht, von wannen er kam (die Diener aber wußten's, die das Wasser geschöpft hatten), rufet der Speisemeister den Bräutigam. Und spricht zu ihm: Jedermann gibt zuerst den guten Wein, und wenn sie trunken geworden sind, alsdann den geringern; du aber hast den guten Wein bisher zurückbehalten.«
Was ist das? Warum erweitert sich das Zimmer? Ach richtig, es ist ja eine Hochzeit, eine Hochzeit ... Da sind ja auch die Gäste, da das junge Paar und die fröhliche Menge und ... Wo ist denn der kluge Speisemeister? Und wer ist das dort? Wer ist das? Schon wieder hat sich das Zimmer erweitert ... Wer erhebt sich da an dem großen Tisch? Wie, er ist auch hier? Aber er liegt doch im Sarg ... Und ist auch hier ... Er ist aufgestanden, hat mich gesehen, kommt hierher ... Herrgott!
Ja, zu ihm, zu ihm trat er heran, der magere kleine Alte mit den feinen Runzeln im Gesicht, mit froher Miene und leise lächelnd. Der Sarg war verschwunden, und er trug dieselbe Tracht, in der er tags zuvor mit ihnen zusammengesessen hatte, als sich bei ihm die Besucher versammelt hatten. Sein Gesicht blickte frei und offen, die Augen leuchteten. Wie ging das zu? Er war also ebenfalls auf dem Festmahl, war ebenfalls zur Hochzeit zu Kana in Galiläa geladen ...
»Auch ich bin geladen, mein, Lieber, geladen und berufen«, erscholl neben ihm eine sanfte Stimme. »Warum hast du dich versteckt, daß man dich gar nicht sehen kann? Komm doch auch zu uns!« Das war seine Stimme, die Stimme des Starez Sossima! Ja, und wie sollte er es auch nicht sein, wo er ihn doch rief? Der Starez reichte Aljoscha die Hand zum Aufstehen; Aljoscha erhob sich. »Laß uns fröhlich sein!« fuhr der magere kleine Alte fort. »Laß uns neuen Wein trinken, den Wein einer neuen, großen Freude! Siehst du, wieviel Gäste hier sind? Da sind Bräutigam und Braut, da probiert der kluge Speisemeister den neuen Wein. Warum wunderst du dich über mich? Ich habe eine Zwiebel weggeschenkt, darum bin auch ich hier. Und viele hier haben nur eine Zwiebel weggeschenkt, jeder nur ein kleines Zwiebelchen ... Was sind unsere Taten? Auch du, du Stiller, du mein sanfter Knabe, auch du hast es heute verstanden, einer Hungernden eine Zwiebel zu geben ... So beginne dein Werk, du Lieber! Beginne dein Werk, du Sanfter! Aber siehst du unsere Sonne, siehst du Ihn?«
»Ich fürchte mich ... Ich wage nicht hinzusehen«, flüsterte Aljoscha.
»Fürchte Ihn nicht! Furchtbar ist Er uns durch seine Größe, schrecklich durch seine Hoheit, aber Er ist von unendlicher Barmherzigkeit. Aus Liebe zu uns ist Er uns ähnlich geworden und freut sich mit uns und verwandelt Wasser in Wein, damit die Freude der Gäste nicht vorzeitig ein Ende findet. Er erwartet neue Gäste, unaufhörlich lädt Er neue ein, bis in alle Ewigkeit. Und da wird auch schon der neue Wein gebracht. Siehst du, da kommen die Krüge ...«
Es entbrannte etwas in
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