Die Brüder Karamasow
hast du's vergessen? Dann mußt du kein gutes Gedächtnis haben. Die Leute bei uns sagten, du wärst krank. ›Ach was‹, dachte ich, ›ich gehe hin, sehe ihn mit selber an.‹ Und da sehe ich dich nun; wie kann man nur sagen, du bist krank! Du lebst sicher noch zwanzig Jahre! Gott, ist mir dir! Und du hast ja so viele, die für dich beten – wie könntest du denn krank sein?«
»Ich danke dir für alles, meine Liebe.«
»Bei der Gelegenheit habe ich noch eine kleine Bitte. Hier sind sechzig Kopeken, lieber Mann. Gib sie einer Frau, die ärmer ist als ich. ›Das beste ist, ich lasse sie jemandem durch ihn zukommen‹, dachte ich auf dem Weg hierher, er wird schon wissen, wem er sie geben muß.‹«
»Ich danke dir, meine Liebe. Ich danke dir, meine Gute. Ich habe dich lieb. Ich werde deine Bitte ausführen. Ist das ein Mädchen auf deinem Arm?«
»Ein Mädchen, du unser Licht, und heißt Lisaweta.«
»Gott segne euch beide, dich und die kleine Lisaweta! Du hast mein Herz fröhlich gemacht, Mutter. Lebt wohl, meine Lieben! Lebt wohl, meine Teuren!«
Er erteilte allen den Segen und verbeugte sich tief vor ihnen.
4. Eine kleingläubige Dame
Die Gutsbesitzerin hatte aufmerksam verfolgt, wie der Starez mit den einfachen Frauen gesprochen und sie gesegnet hatte; sie vergoß stille Tränen und trocknete sie mit ihrem Taschentuch. Sie war eine mitfühlende Dame von Welt mit vielen aufrichtig guten Neigungen. Als der Starez zuletzt auch an sie herantrat, begrüßte sie ihn voll Begeisterung: »Der Anblick der ganzen rührenden Szene hat mich so tief, so tief ergriffen ...« Sie konnte vor Erregung nicht weitersprechen. »Oh, ich verstehe, daß das Volk Sie liebt. Ich selbst liebe das Volk, wie sollte man auch das Volk, unser prächtiges, in seiner Größe so schlichtes russisches Volk nicht lieben!«
»Wie steht es um die Gesundheit Ihrer Tochter? Sie wünschten mich wieder zu sprechen?«
»Oh, ich habe inständig darum gebeten und gefleht: Ich war bereit, auf die Knie zu fallen und notfalls drei Tage lang vor Ihrem Fenster liegenzubleiben, bis Sie mich vorlassen würden. Wir sind gekommen, großer Heilspender, um Ihnen begeistert Dank zu sagen. Sie haben meine Lisa geheilt, völlig geheilt nur dadurch, daß Sie am Donnerstag über sie beteten und Ihre Hände auf sie legten. Wir sind gekommen, um diese Hände zu küssen und unseren Gefühlen und unserer Verehrung Ausdruck zu geben!«
»Wieso habe ich sie geheilt? Sie liegt ja immer noch im Rollstuhl?«
»Aber das nächtliche Fieber hat aufgehört, schon seit zwei Tagen, seit Donnerstag«, erwiderte die Dame in nervöser Hast. »Ja, noch mehr: ihre Beine haben sich gekräftigt. Heute früh stand sie gesund auf, nachdem sie die ganze Nacht geschlafen hatte. Sehen Sie nur ihre rote Gesichtsfarbe und ihre glänzenden Augen! Sonst weinte sie immer, jetzt aber lacht sie und ist vergnügt. Heute verlangte sie hartnäckig, auf die Füße gestellt zu werden, und stand eine ganze Minute allein da, ohne Stütze. Sie will mit mir wetten, daß sie in vierzehn Tagen eine Quadrille tanzen kann. Ich ließ unseren Doktor Herzenstube kommen; er zuckte die Achseln und sagte: ›Ich bin erstaunt, das verstehe ich nicht!‹ Und da wollen Sie, wir sollen Sie nicht weiter stören? Wir mußten einfach hereilen und Ihnen danken. So bedanke dich doch, Lisa, bedanke dich!«
Lisas liebes, lachendes Gesicht wurde auf einmal ernst; sie richtete sich nach besten Kräften im Rollstuhl auf, schaute den Starez an und faltete vor ihm die Hände. Sie konnte sich jedoch nicht beherrschen und brach unvermittelt in Lachen aus.
»Ich lache nur über ihn, über ihn!« sagte sie und deutete auf Aljoscha. Sie ärgerte sich wie ein Kind über sich selbst, weil sie sich nicht hatte beherrschen können. Wer Aljoscha beobachtete, der einen Schritt hinter dem Starez stand, konnte auf seinem Gesicht eine hektische Röte bemerken, die urplötzlich seine Wangen übergoß. Seine Augen leuchteten auf, und er senkte den Kopf.
»Sie hat einen Auftrag an Sie, Alexej Fjodorowitsch. Wie steht es mit Ihrer Gesundheit?« wandte die Mama sich plötzlich an Aljoscha und streckte ihm ihre kleine Hand mit dem eleganten Handschuh hin. Der Starez drehte sich um und sah Aljoscha aufmerksam an. Dieser näherte sich Lisa und reichte ihr mit seltsam ungeschicktem Lächeln die Hand. Lisa machte eine wichtige Miene.
»Katerina Iwanowna schickt Ihnen das durch mich«, sagte sie und übergab ihm ein kleines Briefchen. »Sie
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