Kerrion 3 - Traumwelt
MARTIN MOSEBACH - DER MOND UND DAS MÄDCHEN
Hans und Ina sind ein strahlendes junges Paar, ihre Ehe ist beinahe noch eine Kinderehe. Hans hat in Frankfurt eine brillante Bankkarriere begonnen, und um so unbegreiflicher ist es, wie sehr er sich in der neuen Wohnung vergriffen hat: Hinter dem Hauptbahnhof an einer lauten Straße steht dies übriggebliebene Gründerzeithaus, dem man nicht ansieht, wie seltsam es in ihm zugeht. Gibt es Dämonen? Man könnte glauben, daß die tote Taube, die Ina entsetzt in ihrem Schlafzimmer findet, einen bösen Geist in die Wohnung eingeschleppt hat. Martin Mosebachs federleicht und spielerisch erzählter Roman ist ironisches Großstadtbild und doppelbödige Liebesgeschichte zugleich. Verhängnisvoll wird dem Paar die Nachbarschaft: eine junge Schauspielerin mit ihrem Freund und jener fatale Kreis um den marokkanischen Hausmeister Abdallah Souad, der sich allnächtlich in dem brütend heißen Hof unter dem großen Sommermond zusammenfindet.
Martin Mosebach, geboren 1951, lebt als Schriftsteller in Frankfurt am Main. Er wurde u.a. mit dem Heimito-von-Do-derer-Preis, dem Kleist-Preis und 2006 mit dem Großen Literaturpreis der Bayerischen Akademie der Schönen Künste ausgezeichnet. Bei Hanser erschienen Das Beben (Roman, 2005) Schöne Literatur (Essays, 2006) und 2007 Häresie der Formlosigkeit. Die römische Liturgie und ihr Feind.
Roman
Carl Hanser Verlag
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ISBN 978-3-446-20916-9 © Carl Hanser Verlag München 2007 Satz: Gaby Michel, Hamburg Druck und Bindung: Friedrich Pustel, Regensburg Printed in Germany
Wer eine Wohnung sucht, hat es mit einem der seltenen Augenblicke zu tun, in denen der Mensch wirklich einmal glauben darf, über die Zukunft seines Lebens zu entscheiden, denn im Wohnen, so vieldeutig dies Wort eben ist, liegt doch das ganze Leben beschlossen. Der junge Mann, der auf dem Fahrrad durch die Straßen der ihm noch fremden Stadt Frankfurt fuhr, hatte ein paar Tage zuvor geheiratet und hielt Ausschau nach der ersten Wohnung, die er mit seiner Frau gemeinsam bewohnen würde. »Meine Frau« zu sagen, ging ihm noch nicht glatt von den Lippen. »Meine Frau« - wäre das nicht eher eine Matrone? Um »meine Frau« zu werden, müßte das Mädchen, das er geheiratet hatte, alles verlieren, was jetzt zu ihm gehörte: Kindlichkeit, Schmetterlingszartheit, Elfenleichtigkeit. Das waren nicht seine Gedanken, poetische Ausdrucksweise wollte er sich nicht zutrauen, aber eine leise klingende, feingläserne Zerbrechlichkeit war es schon, was ihm vorschwebte, wenn er an dies Mädchen dachte, ein zartes Glasgeklingel, Silbrigkeit in Stimme und Haar. Dabei war sie gar nicht viel jünger als er, aber aufgewachsen und behütet in einem Reservat abschirmender Bürgerlichkeit wie ein exquisites Frühgemüse, das nur mit Wärme und Tau, nicht aber mit Frost und rauhen Winden in Berührung kommen darf.
Die ersten Wochen dieser Ehe sahen ein wenig anders aus, als es solch geordneten Verhältnissen entsprochen hätte. Unzählige Gäste gratulierten dem jungen Paar. Die meisten waren für den Bräutigam Wildfremde und blieben es auch, als er die Hochzeitsphotos betrachtete; da hätte man ihm hinlegen können, wen man wollte, er hätte bereitwillig geglaubt, das Gesicht irgendwann auf seiner Hochzeit gesehen zu haben. Aber nach dieser »manage a la mode« fand die berühmte rituelle Hochzeitsreise leider nicht statt. Es ging nicht. Es war nicht zu machen, der Antritt der neuen Arbeitsstelle, der ersten nach der Universität, hatte sich nicht verschieben lassen; es war auch gar nicht ernsthaft daran herumgeschoben worden, denn das, was in früheren Zeiten auf einer solchen Hochzeitsreise geschehen sollte, hatte, wie üblich, längst stattgefunden, und der eigentlichen Hochzeit waren mindestens drei kleine Hochzeitsreisen vorangegangen. Für Sentimentalitäten war keine Zeit, so drückte es seine Schwiegermutter aus, in deren Nähe es nicht nur die Sentimentalitäten, sondern eigentlich sämtliche Gefühlsregungen schwer hatten, sich zu behaupten.
Noch mehr als Gefühlsregungen verabscheute die Dame jede Anstrengung, und mochte man auch alles, was sich nur delegieren ließ, Hilfskräften übertragen, so täuschte doch nichts darüber hinweg, daß die Hochzeit vor allem eine solche immense Anstrengung gewesen war. Nur wenige Tage, nachdem das Feuerwerk der Brautsoiree abgebrannt worden war, reiste sie in den Süden und nahm dabei ihre Tochter mit, denn sie trat bei anderen
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