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Die Brüder Karamasow

Die Brüder Karamasow

Titel: Die Brüder Karamasow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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Doch genug von diesem unglücklichen alten Mann: Er hat seinen Lohn empfangen! Erinnern wir uns aber daran, daß das ein moderner Vater war. Tue ich der Gesellschaft Unrecht, wenn ich sage, daß er einer von vielen modernen Vätern war? Ach, die meisten Väter reden heutzutage nur nicht so zynisch wie dieser, weil sie besser erzogen und besser gebildet sind, während sie im Grunde fast dieselbe Philosophie haben wie er. Mag man mich einen Pessimisten nennen, meinetwegen! Wir sind schon übereingekommen, daß Sie mir verzeihen werden. Treffen wir im voraus folgende Verabredung: Sie brauchen mir nicht zu glauben! Ich werde reden, und Sie brauchen mir nicht zu glauben. Aber gestatten Sie dennoch, daß ich mich ausspreche; behalten Sie dennoch einiges von meinen Worten im Gedächtnis ... Da haben wir nun die Söhne dieses alten Mannes, dieses Familienvaters: Einer sitzt vor uns auf der Anklagebank; von ihm werde ich in meiner ganzen Rede zu sprechen haben; von den anderen will ich nur im Vorübergehen ein Wort sagen. Von diesen anderen ist der ältere ein moderner junger Mann mit glänzender Bildung und starkem Verstand. Aber er glaubt an nichts mehr: Vieles, sehr vieles im Leben hat er negiert und von sich gewiesen, fast wie sein Vater. Wir alle haben ihn reden hören, denn er hatte in unserer Gesellschaft freundliche Aufnahme gefunden. Er machte aus seinen Anschauungen kein Hehl, ganz im Gegenteil – und das gibt mir den Mut jetzt über ihn etwas offenherziger zu reden, natürlich nicht über ihn als Privatperson, sondern über ihn als Mitglied der Familie Karamasow. Hier, am äußersten Rand der Stadt, starb gestern durch Selbstmord ein kränklicher Idiot, der zu dem vorliegenden Prozeß in naher Beziehung stand: der frühere Diener Fjodor Pawlowitschs und vielleicht sein unehelicher Sohn, Smerdjakow. Er hat mir bei der Voruntersuchung unter Tränen erzählt, wie ihn dieser junge Karamasow, Iwan Fjodorowitsch, durch die Negierung aller moralischen Schranken entsetzt hatte. ›Alles auf der Welt,‹ sagte Smerdjakow, ›ist nach seiner Meinung erlaubt, und in Zukunft darf nichts mehr verboten sein, das hat er mich immer gelehrt.‹ Wie es scheint, hat der Idiot über dieser These, die ihm vorgetragen wurde, völlig den Verstand verloren, obwohl natürlich auch seine Epilepsie und die ganze furchtbare Katastrophe, die über dieses Haus hereingebrochen ist, zu seiner Geisteszerrüttung beigetragen haben dürften. Doch in den Reden dieses Idioten kam nebenbei eine sehr interessante Bemerkung vor, die sogar einem klügeren Beobachter als ihm Ehre gemacht hätte – und das ist eigentlich der Grund, warum ich von ihm spreche. ›Wenn einer der Söhne‹, sagte er zu mir, ›seinem Vater Fjodor Pawlowitsch im Charakter besonders ähnlich ist, so ist er es, Iwan Fjodorowitsch.‹ Mit dieser Bemerkung breche ich die begonnene Charakteristik ab, da ich es nicht für schicklich halte, sie weiter fortzusetzen. Oh, ich will keine weiteren Schlüsse ziehen und will nicht wie ein krächzender Unglücksrabe dem jungen Mann nur Verderben prophezeien. Wir haben ja heute hier in diesem Saal gesehen, daß die natürliche Kraft der Wahrheit noch in seinem jungen Herzen lebt, daß das Gefühl der Familienzusammengehörigkeit bei ihm nicht erstickt ist durch Unglauben und sittlichen Zynismus, wozu er mehr durch Vererbung als durch die Qual des Gedankens gelangt ist ... Dann der andere Sohn. Oh, das ist noch ein Jüngling, gottesfürchtig und bescheiden: im Gegensatz zu der finsteren, zersetzenden Weltanschauung seines Bruders sucht er sich sozusagen an die ›Volkselemente‹ zu halten oder an das, was man bei uns in manchen theoretischen Winkeln unserer denkenden Intelligenz mit diesem rätselhaften Wörtchen bezeichnet. Sehen Sie, er hatte sich einem Kloster angeschlossen und wäre beinahe selbst Mönch geworden. Bei ihm ist, wie mir scheint, gewissermaßen unbewußt und schon früh jene schüchterne Verzweiflung zum Ausdruck gekommen, an der jetzt so viele in unserer armen Gesellschaft leiden. Da sie den Zynismus und die Lasterhaftigkeit der Gesellschaft fürchten und irrtümlich alles Übel auf die westeuropäische Aufklärung zurückführen, so werfen sie sich, wie sie sich ausdrücken, ›auf den heimischen Boden‹, in die Mutterarme der heimischen Erde wie Kinder, die sich vor Gespenstern fürchten; sie möchten an der vertrockneten Brust der geschwächten Mutter nur ruhig einschlafen und sogar ihr ganzes Leben verschlafen, wenn

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