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Die Brüder Karamasow

Die Brüder Karamasow

Titel: Die Brüder Karamasow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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sie nur nicht diese Schrecknisse zu sehen brauchen. Persönlich wünsche ich dem braven und begabten Jüngling alles Gute. Ich wünsche ihm, daß sich seine jugendliche Schwärmerei und sein Streben nach den ›Volkselementen‹ später nicht wie so oft auf der moralischen Seite in finsteren Mystizismus und auf der sozialen Seite in stumpfen Chauvinismus verwandeln mögen – zwei Richtungen, die der Nation vielleicht noch größeres Unheil androhen als selbst die frühe Verderbnis durch die falsch verstandene, ohne eigene Anstrengung erlangte westeuropäische Aufklärung, an der sein älterer Bruder leidet.«
    Wegen der Bemerkung über den Chauvinismus und den Mystizismus klatschten wieder zwei oder drei Zuhörer Beifall. Ippolit Kirillowitsch hatte sich allerdings hinreißen lassen: All das hatte nur wenig mit der anliegenden Prozeßsache zu tun, ganz zu schweigen davon, daß es ziemlich unklar herauskam; aber gar zu sehr verlangte den schwindsüchtigen, verbitterten Menschen, sich wenigstens einmal in seinem Leben auszusprechen! Bei uns hieß es später, er habe sich bei der Schilderung von Iwan Fjodorowitschs Charakter sogar von einem unfeinen Gefühl leiten lassen, denn dieser habe ihn ein- oder zweimal öffentlich bei Debatten auf den Sand gesetzt, und der nachtragende Ippolit Kirillowitsch habe sich jetzt rächen wollen. Doch ich weiß nicht, ob man so schlußfolgern durfte. Jedenfalls war das alles nur die Einleitung; die Rede ging im folgenden mehr geradeaus und blieb näher bei der Sache.
    »Aber nun ist da der dritte Sohn des modernen Familienvaters«, fuhr Ippolit Kirillowitsch fort. »Er sitzt vor uns auf der Anklagebank. Vor uns liegen auch seine Taten, sein Leben und seine Werke; der Augenblick ist gekommen, wo sich alles enthüllt hat und zutage gekommen ist. Im Gegensatz zu der ›europäischen Bildung‹ und den ›Volkselementen‹ seiner Brüder repräsentiert er in seiner Person gewissermaßen das ungebrochene Rußland – oh, nicht das ganze, nicht das ganze! Gott behüte uns davor, daß es das ganze wäre! Und doch ist da unser Rußland, unser Mütterchen, man riecht und schmeckt es geradezu. Oh, wir sind ungebrochen, wir sind böse und gut in wunderlichster Mischung; wir lieben die Aufklärung und Schiller, und gleichzeitig randalieren wir in den Wirtshäusern und reißen unseren betrunkenen Zechgenossen die Bärte aus. Oh, wir sind auch manchmal gut und edel, aber nur dann, wenn es uns selbst gut geht. Wir begeistern uns sogar für die edelsten Ideale, aber nur unter der Bedingung, daß sie sich von selbst erreichen lassen, uns vom Himmel auf den Tisch fallen, und vor allen Dingen umsonst, umsonst, so daß wir ja nichts für sie zu bezahlen brauchen. Das Bezahlen lieben wir ganz und gar nicht! Dagegen lieben wir das Bekommen, und zwar auf allen Gebieten. Oh, man gebe uns alle denkbaren Güter des Lebens – es müssen unbedingt alle denkbaren sein, mit weniger geben wir uns nicht zufrieden –, und vor allem bereite man unserer Individualität keinerlei Hindernisse: Dann werden auch wir beweisen, daß wir gut und edel sein können. Wir sind nicht habgierig, nein; aber man gebe uns dennoch Geld, mehr, immer mehr, soviel wie möglich, und man wird sehen, wie großmütig, mit welcher Geringschätzung des verächtlichen Metalls wir es in einer einzigen Nacht bei einem ausschweifenden Gelage ausgeben. Gibt man uns jedoch kein Geld, dann werden wir zeigen, daß wir uns welches zu verschaffen verstehen, wenn uns ein großes Verlangen danach ankommt. Aber davon später, wir wollen die richtige Reihenfolge einhalten. Ganz zuerst sehen wir einen armen, verlassenen Knaben vor uns, ›auf dem Hof hinter dem Haus ohne Schuhchen‹, wie sich vorhin unser verehrter Mitbürger ausdrückte, der leider ausländischer Herkunft ist! Ich wiederhole noch einmal: Ich trete niemandem die Verteidigung des Angeklagten ab! Ich bin Ankläger, aber ich bin auch Verteidiger. Ja, auch wir sind Menschen, die ein Herz haben, auch wir verstehen abzuwägen, wie die ersten Eindrücke der Kindheit und des Vaterhauses auf den Charakter einwirken können. Da ist aus dem Knaben schon ein Jüngling geworden, ein junger Mann, ein Offizier; zur Strafe für tolle Streiche und für eine Herausforderung zum Duell wird er in eines der entlegensten Grenzstädtchen unseres gesegneten russischen Vaterlandes versetzt. Dort tut er seinen Dienst, dort führt er ein flottes Leben – natürlich: Ein großes Schiff braucht ein großes Fahrwasser.

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