Die Brueder Karamasow
herausgeben!«
Lisa blickte ihn hingerissen an.
»Aljoscha«, stammelte sie wieder, »sehen Sie an der Tür nach, ob Mama nicht horcht.«
»Gut, Lisa, ich werde nachsehen. Aber wäre es nicht besser, es zu unterlassen? Warum sollen wir Ihre Mutter eines so unwürdigen Benehmens verdächtigen?«
»Wieso unwürdig? Was ist dabei unwürdig? Wenn sie ihre Tochter belauscht, so ist das ihr Recht und kein unwürdiges Benehmen«, ereiferte sich Lisa. »Seien Sie überzeugt, Alexej Fjodorowitsch, wenn ich selbst Mutter bin und selber so eine Tochter habe, werde ich sie unweigerlich belauschen.«
»Wirklich, Lisa? Das ist nicht schön.«
»Ach, mein Gott, was ist daran Unwürdiges? Würde sie, ein gewöhnliches Gespräch irgendwelcher Bekannten belauschen, wäre das unwürdig. Doch hier ist ihre Tochter mit einem jungen Mann allein in einem Zimmer ... Hören Sie, Aljoscha, ich werde ebenfalls auf Sie aufpassen, sowie wir verheiratet sind. Und Sie mögen ferner wissen, daß ich alle Ihre Briefe aufmachen und alles lesen werde. Also lassen Sie sich gewarnt sein ...«
»Ja gewiß, wenn es so ist ...«, murmelte Aljoscha. »Aber schön ist das nicht.«
»Ach, mit welcher Verachtung Sie das sagen! Lieber Aljoscha, wir wollen uns nicht gleich von vornherein streiten; ich will Ihnen lieber meine wahre Meinung sagen. Horchen ist natürlich etwas sehr Häßliches, und selbstverständlich habe ich unrecht und Sie recht – aber ich werde trotzdem horchen.«
»Tun Sie das! Sie werden bei mir nichts Schlimmes ausspionieren!« erwiderte Aljoscha lachend.
»Aljoscha, werden Sie sich mir auch unterordnen? Das müssen wir auch im voraus klarstellen.«
»Mit dem größten Vergnügen und unbedingt, Lisa. Nur nicht im Allerwichtigsten. Sollten Sie im Allerwichtigsten mit mir nicht einer Meinung sein, werde ich dennoch tun, was mir die Pflicht gebietet.«
»So muß es auch sein. Und Sie sollen wissen, daß auch ich – im Widerspruch zu dem, was ich soeben gesagt habe – bereit bin, mich Ihnen nicht nur im Allerwichtigsten unterzuordnen, sondern Ihnen in allem nachzugeben, was ich Ihnen gleich jetzt schwöre: in allem und fürs ganze Leben!« rief Lisa in flammender Begeisterung. »Und das wird mein Glück ausmachen, mein Glück! Ja noch mehr, ich schwöre Ihnen, daß ich Sie niemals belauschen werde, nie und nimmer, daß ich keinen einzigen Brief an Sie lesen werde, denn Sie haben recht, nicht ich. Ich werde zwar schreckliche Lust haben zu horchen, das weiß ich – doch ich werde es trotzdem nicht tun, weil Sie es für unedel halten. Sie sind jetzt sozusagen meine Vorsehung ... Hören Sie Alexej Fjodorowitsch, warum sind Sie alle diese Tage, auch gestern und heute, so traurig? Ich weiß, daß Sie allerlei Mühen und Sorgen haben, aber ich sehe, daß Sie außerdem noch einen besonderen Kummer haben – das ist wohl ein geheimer Kummer, ja?«
»Ja, Lisa, das ist ein geheimer Kummer«, antwortete Aljoscha traurig. »Ich sehe, daß Sie mich lieben, wenn Sie das erraten konnten.«
»Was ist es denn für ein Kummer? Worüber? Dürfen Sie es sagen?« fragte Lisa schüchtern bittend.
»Ich werde es Ihnen später sagen, Lisa, später ...«, antwortete Aljoscha verlegen. »Jetzt wäre es für Sie vielleicht noch unverständlich. Auch kann ich mich vielleicht nicht richtig ausdrücken.«
»Ich weiß außerdem, daß Ihnen Ihre Brüder und Ihr Vater viel Schmerz bereiten.«
»Ja, auch die Brüder«, sagte Aljoscha wie in Gedanken versunken.
»Ihren Bruder Iwan Fjodorowitsch kann ich nicht leiden«, bemerkte Lisa plötzlich.
Aljoscha vernahm diese Bemerkung einigermaßen verwundert, ging aber nicht darauf ein.
»Meine Brüder richten sich selbst zugrunde«, fuhr er fort, »und der Vater ebenfalls. Und gleichzeitig ziehen sie auch andere mit ins Verderben. Das ist die ›Karamasowsche Erdkraft‹, wie Vater Paissi sich neulich ausdrückte, eine wütende, rohe Erdkraft. Ich weiß nicht einmal, ob der Geist Gottes über dieser Kraft schwebt. Ich weiß nur, daß auch ich ein Karamasow bin. Ich bin ein Mönch. Bin ich ein Mönch, Lisa? Haben Sie nicht eben zufällig gesagt, daß ich ein Mönch bin?«
»Ja, das habe ich gesagt.«
»Und dabei glaube ich vielleicht nicht einmal an Gott.«
»Sie glauben nicht an Gott? Was haben Sie?« fragte Lisa leise und behutsam. Doch Aljoscha antwortete nicht.
In seinen Worten hatte etwas allzu Geheimnisvolles, allzu Subjektives gelegen, das ihm vielleicht selbst unklar war, ihn jedoch zweifellos
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