Das Grab der Königin
Die Frau erschien gespenstergleich aus dem Dunkel der Schwaden, die wie feine Tücher die Nische umwehten und einen Geruch abgaben, der mich an allmählich verglimmende Gewürze erinnerte.
»Eine Rose, Sir?« fragte sie. Ihre Stimme glich einem geheimnisvollen Flüstern, besaß zudem ein dunkles Timbre, das mir vorkam, als wäre es durch irgendwo vorhandene Lautsprecher verstärkt worden. Ich hob den Kopf.
Das Gesicht schwebte über mir. Umrahmt von einem dunklen Tuch, nah und doch so fern. Das Tuch umspannte den Kopf sehr eng. Es lief an den Seiten über in einen langen Mantel oder in ein mantelähnliches Gewand, das die Gestalt der Frau sehr schlank machte. Ich versuchte in ihrem Gesicht zu lesen. War es alt, war es jung? Mir kam es irgendwie alterslos vor. »Sie haben Rosen?« fragte ich.
»Ja, Sir.« Sie kam noch näher. Eine Hand erschien. Bisher war sie in dem Mantel verborgen gewesen. Die Frau stemmte sie auf den Tisch, als würden die Finger nicht zu ihr gehören. Rechts von mir brannte eine Lampe. Ihr Lichtschein war lächerlich zu nennen. Er schaffte es kaum, die Schwaden zu durchteilen.
»Wo haben Sie die Rosen?« wollte ich wissen.
»Moment.« Es sah so aus, als wollte sich die Frau auf der runden Tischplatte abstützen. Sie griff jedoch daneben und knickte ein. Ich sprang hoch, um sie zu stützen, da hatte sie sich bereits gefangen und auf dem zweiten Stuhl ihren Platz gefunden. »Danke, Sir,« sagte sie.
»Danke. Nicht nötig. Ich komme schon allein zu recht.«
Noch immer entdeckte ich keine Spur von der Blume. Wenn sie die Rosen tatsächlich bei sich trug, mußte sie sieunterdem langen Kleidungsstück verborgen halten.
Aber wollte sie mir tatsächlich eine Rose verkaufen? Ich war mir nicht mehr so sicher, das Erscheinen der Frau kam mir vor, wie nach einem Regieplan gestellt.
»Möchten sie etwas trinken?« erkundigte ich mich. »Vielleicht ein Glas Mineralwasser? Wir befinden uns in einem Fokal, wo…«
»Nein, Sir.« Die Frau schaute mich nur an. Ich wich ihrem Blick nicht aus.
Ob sie junge Augen besaß, konnte ich nicht genau sagen. Jedenfalls steckte Leben in ihren dunklen Pupillen. Ein unruhiges Leben, möglicherweise auch Angst?
Ich saß ja nicht ohne Grund in diesem Lokal, das mehr eine Teestube war, die sich aus zahlreichen Nischen zusammensetzte. Jemand hatte mich gebeten, herzukommen, eine alte Bekannte namens Jenna Jensen, Archäologin und Historikerin. Ich hatte mit Dr. Jenna Jensen schon des öfteren zusammengearbeitet. Dabei war es stets um Fälle gegangen, die tief in die Historie hineingriffen und auch den Bereich der Magie und Legendenbildung nicht nur streiften. Stets hatte es sich dabei um eine bestimmte Person gedreht, um ein historisches Rätsel, die Königin von Saba.
Wer sie war, woher sie gekommen war, ob sie überhaupt existiert hatte, wo ihr Grab lag, wenn es sie gegeben hatte, das alles stand in den Sternen, und darüber konnte ich nur mehr spekulieren. Doch Jenna kannte sich aus, sie hatte des öfteren Hinweise auf die Grabstätte der Königin empfangen, und auch ich hatte ihr Gesicht als eine Erscheinung gesehen.
Noch stand ich dem Phänomen der Königin neutral gegenüber. Anders ihre Feinde, zu denen ungewöhnlicherweise auch die Werwölfe zählten, mit ihrer neuen Anführerin Morgana Layton.
Sie hatten es damals, als sich Jenna auf die Suche nach dem Grab der Königin begeben hatte, geschafft, die junge Frau zu vertreiben, und ihre Helfer zuvor getötet. [1]
Es gab also genügend Zündstoff, was die Königin von Saba und ihr Umfeld anging.
Hatten das Erscheinen der Frau und die Frage, ob ich eine Rose wollte, auch damit zu tun?
Ich war mir beinahe sicher, denn bei dem Begriff Rose hatte es bei mir geklickt. Die Königin von Saba hatte auch etwas mit einer Rose zu tun, nur kam ich im Moment nicht darauf, um was es sich im einzelnen handelte. Ich konnte zu diesem Zeitpunkt auch nicht darüber nachdenken, weil mich das Erscheinen der Fremden zu sehr ablenkte. Wenn sie etwas von mir wollte, sollte sie auch von allein auf dieses Thema zu sprechen kommen.
In ihrem Gesicht fiel der Mund kaum auf, so blaß waren die Lippen. Auch als sie lächelte, bewegten sich nur die Mundwinkel.
»Sie sprachen von einer Rose, die Sie mir verkaufen wollten, Madam. Was ist damit?«
»Nein, nicht verkaufen - schenken.«
»Oh, das wundert mich.«
»Wieso?«
»Wer verschenkt in der heutigen Zeit noch etwas?«
»Das geschieht in der Tat selten.«
»Und Sie gehören zu
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