Die Brueder Karamasow
aber das ist den Bestien gegenüber eine arge Ungerechtigkeit und Beleidigung. Eine Bestie kann nie so grausam sein wie der Mensch, auf so raffinierte, kunstvolle Art grausam. Der Tiger beißt einfach zu und zerreißt, weiter kann er nichts. Es würde ihm gar nicht in den Sinn kommen, Menschen über Nacht an den Ohren festzunageln, selbst wenn er das könnte. Diese Türken haben unter anderem auch Kinder geradezu wollüstig gefoltert. So haben sie mit ihren Dolchen Ungeborne ne aus dem Mutterleib geschnitten und Säuglinge vor den Augen der Mütter in die Höhe geworfen, und mit den Bajonetten aufgefangen. Daß dies vor den Augen der Mütter geschah, war die besondere Würze des Vergnügens. Und nun will ich dir eine kleine Geschichte erzählen, die mir besonders interessant war. Stell dir vor: Ein kleines Kind auf dem Arm der vor Angst zitternden Mutter, ringsherum Türken, die in das Haus eingedrungen sind. Sie haben sich ein Späßchen ausgedacht. Liebkosen das Kindchen, lachen, um es zum Lachen zu bringen, es gelingt ihnen, das Kind ist ganz vergnügt. In diesem Augenblick zielt ein Türke mit der Pistole auf das Kleine, eine Spanne weit von seinem Gesicht. Das Kleine lacht fröhlich und streckt die Ärmchen aus, um nach der Pistole zu greifen. Und plötzlich drückt der Witzbold ab, schießt ihm mitten ins Gesicht und zerschmettert ihm das Köpfchen ... Kunstvoll, nicht wahr? Die Türken sollen übrigens große Freunde von Süßigkeiten sein.«
»Bruder, wozu erzählst du das alles?« fragte Aljoscha.
»Ich glaube, wenn der Teufel nicht existiert und ihn somit der Mensch erschaffen hat, dann nach seinem Bilde.«
»Also genauso, wie er Gott erschaffen hat.«
»Du verstehst es ganz erstaunlich, einem die Worte im Mund zu verdrehen, wie Polonius im Hamlet sagt«, erwiderte Iwan lachend. »Du hast mich bei einem Widerspruch ertappt – sei es drum, ich freue mich. Ein nettes Produkt muß er ja sein, dein Gott, wenn der Mensch ihn nach seinem Bild geschaffen hat. Du fragst eben, wozu ich das alles erzähle: Siehst du, ich bin ein Liebhaber und Sammler gewisser Tatsachen und schreibe mir aus Zeitungen und anderen Quellen, wo ich gerade etwas finde, bestimmte Geschichtchen heraus und sammle sie; ich habe bereits eine hübsche Kollektion. Die Türken sind natürlich auch in die Sammlung aufgenommen, aber das sind Ausländer. Ich habe auch Geschichtchen aus unserem lieben Vaterland und sogar noch bessere als die türkischen. Du weißt, bei uns wird mehr mit Ruten und Peitschen geprügelt, das ist eine nationale Eigentümlichkeit. Angenagelte Ohren sind bei uns undenkbar, denn wir sind doch Europäer. Ruten- und Peitschenhiebe – das ist etwas, was uns gehört und uns nicht genommen werden kann. Im Ausland wird jetzt offenbar gar nicht mehr geprügelt – sei es, daß die Sitten sich verfeinert haben, sei es, daß Gesetze erlassen worden sind, nach denen ein Mensch einen anderen nicht mehr durchpeitschen darf. Dafür haben sie sich durch etwas anderes schadlos gehalten, das ebenfalls rein national ist, wie die Hiebe bei uns, und zwar dermaßen national, daß es bei uns unmöglich zu sein scheint; trotzdem findet es, glaube ich, auch bei uns Eingang, vor allem seitdem es in unseren oberen Gesellschaftskreisen eine religiöse Bewegung gibt. Ich besitze eine allerliebste kleine Broschüre, eine Übersetzung aus dem Französischen, in der erzählt wird, wie vor nicht sehr langer Zeit, vielleicht vor fünf Jahren, in Genf ein Übeltäter und Mörder namens Richard hingerichtet worden ist, ein Bursche von etwa dreiundzwanzig Jahren, der kurz vor dem Schafott bereut und sich zum Christentum bekehrt hatte. Dieser Richard war ein uneheliches Kind, und seine Eltern hatten ihn, als er noch klein war, etwa sechs, an irgendwelche Schweizer Berghirten ›verschenkt‹. Diese zogen ihn groß, um ihn zur Arbeit zu verwenden. Er wuchs bei ihnen auf wie ein kleines wildes Tier. Die Hirten ließen ihn nichts lernen, sondern schickten ihn schon mit sieben Jahren auf die Weide, in Nässe und Kälte, fast ohne Kleidung und fast ohne ihm etwas zu essen zu geben. Und selbstverständlich machte sich keiner von ihnen Gedanken darüber, daß sie so handelten, keiner empfand Gewissensbisse. Sie glaubten völlig im Recht zu sein, da Richard ihnen wie eine Sache geschenkt war, und sie hielten es nicht einmal für nötig, ihn zu beköstigen. Richard selbst hat später ausgesagt, er habe in jenen Jahren wie der verlorene Sohn im Evangelium sehnlich
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