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Unter der Haut (German Edition)

Unter der Haut (German Edition)

Titel: Unter der Haut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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Einzelne sowie Gruppierungen von Menschen müssen begreifen, dass sie nicht imstande sein werden, wirkliche Reformen der Gesellschaft anzugehen oder andere Menschen als vernünftige Wesen zu behandeln, solange der Einzelne nicht gelernt hat, die vielfältigen Muster der ihn beherrschenden formellen und informellen Zwangsinstitutionen aufzuspüren und diese einzukalkulieren. Egal, was seine Vernunft sagt, wird er stets wieder auf den Zwangsmechanismus zurückfallen, solange das Muster in ihm wirkt.
     
    Idries Shah, Karawane der Träume
    Egal, wo man auf der Erde hinschaut, überall, wo Menschen sind, kann man beobachten, dass sie sich zum Rhythmus der Musik bewegen. Es gibt ein weitverbreitetes Vorurteil über die Musik, das besagt, der Rhythmus in der Musik gehe von der Musik aus, und nicht umgekehrt, dass die Musik eine hoch spezialisierte Manifestation schon im Einzelnen lebendiger Rhythmen sei. Wie wäre sonst das enge Zusammenspiel zwischen Ethnizität und Musik zu erklären?
    Es könnte sich herausstellen, dass rhythmische Muster zu den elementarsten Persönlichkeitsmerkmalen gehören, die ein Individuum von dem anderen unterscheiden.
    … wenn Leute miteinander reden …, vereinigen sich selbst ihre Gehirnwellen zu einer einheitlichen Sequenz. Wenn wir miteinander reden, greifen unsere zentralen Nervensysteme ineinander wie zwei Gänge in einem Getriebe.
    Die Kraft rhythmischer Botschaften innerhalb der Gruppe ist eine der stärksten mir bekannten Kräfte. Unsichtbar wie die Schwerkraft, hält sie Gruppen zusammen.
    Ich erinnere mich gut daran, wie überwältigend der Eindruck meiner ersten Filmaufnahmen von Menschengruppen in der Öffentlichkeit auf mich war. Es bewegten sich nicht nur kleine Gruppen im Gleichtakt, sondern es wirkte zum Teil so, als bewegten sich alle zu einem größeren Rhythmus.
     
    Edward T. Hall, The Dance of Life
    Eine Bemerkung zur Bevölkerung Südrhodesiens und des heutigen Simbabwe:
     
    Man nimmt an, dass zu dem Zeitpunkt, als die ersten Weißen in dem Territorium eintrafen, das später Südrhodesien genannt wurde, dort eine viertel Million Schwarze lebten. Um 1924 waren es eine halbe Million, 1949 , als ich das Land verließ, anderthalb Millionen. 1982 lauteten die Schätzungen auf neun bis zehn Millionen, 1993 bereits auf zwölf oder dreizehn Millionen. Einige Demografen glauben, dass es 2010 dreißig Millionen sein werden. Heute, 1993 , sind neunzig Prozent der Bevölkerung unter fünfzehn Jahre.
    Nach landläufiger Meinung der meisten Wissenschaftler hat das stetige Anwachsen der Bevölkerung seit der Ankunft der Weißen damit zu tun, dass die Portugiesen den Mais eingeführt haben, der problemlos im Anbau ist, reiche Ernten gibt, leicht zu lagern und äußerst nahrhaft ist.

Kapitel Eins
    »Sie war sehr hübsch, aber sie hatte nichts im Kopf als Pferde und Tanzen.«
    Dieser Satz tauchte in den Geschichten meiner Mutter aus ihrer Kindheit wie ein Refrain auf, und es dauerte Jahre, bis mir aufging: »Moment mal, das ist ja ihre Mutter, über die sie das sagt.« Sie wählte nie eine andere Formulierung, und es waren nicht ihre eigenen Worte, weil sie sich an ihre Mutter gar nicht erinnern konnte. Nein, so hatte sie es von den Dienstboten gehört, denn sie setzte unbewusst ihr Küchengesicht auf, mit einem verächtlichen Zug um den Mund, und schnaufte jedes Mal missbilligend. Dieses kleine Schnauben weckte in mir stets Fantasien von einer Welt der Diener und Küchenmädchen, einer Welt, die für mich ebenso exotisch war wie die Geschichten von Kannibalen und Heiden für die Hausangestellten. Dienstboten und Kindermädchen zogen die kleinen Kinder nach dem Tod der leichtfertigen Emily McVeagh groß, die nach der dritten Entbindung im Wochenbett an einer Bauchfellentzündung starb, als ihr erstes Kind, meine Mutter, erst drei war. Es gibt nicht einmal eine Fotografie von Emily. Sie ist nichts und niemand. John William McVeagh weigerte sich, von seiner ersten Frau zu erzählen. Was hat sie bloß angestellt?, fragte ich mich. Schließlich ist es kein Verbrechen, oberflächlich zu sein. Eines Tages kam ich drauf: Emily Flower war gewöhnlich, das muss es gewesen sein.
    Dann beauftragte ich eine Familienforscherin, diese ferne Vergangenheit ans Licht zu holen, und so wurde eine Menge Material zutage gefördert, Stoff für einen wundervollen viktorianischen Roman, von Anthony Trollope vielleicht, in dem das Emily Flower gewidmete Kapitel mit dem Titel »Worin liegt ihre Schuld?« nur

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