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Die Brueder Karamasow

Die Brueder Karamasow

Titel: Die Brueder Karamasow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodr Michailowitsch Dostojewski
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ohne sie könnte der Mensch gar nicht auf Erden leben; er würde das Gute und das Böse nicht erkennen. Aber wozu sollen wir dieses verdammte Gute und Böse erkennen, wenn uns das so teuer zu stehen kommt? Eine ganze Welt von Erkenntnis wiegt ja nicht die Tränen auf, mit denen das Kind zum ›lieben Gott‹ betet! Ich rede nicht von den Leiden der Erwachsenen, die haben von dem Apfel gegessen, hol‹ sie alle der Teufel! Aber die kleinen Kinder! Ich quäle dich, Aljoscha, du kommst mir vor wie geistesabwesend. Wenn du willst, höre ich auf.«
    »Nicht doch, auch ich will Qualen leiden!« murmelte Aljoscha.
    »Noch eine kleine Geschichte, nur noch eine einzige, weil sie besonders interessant und charakteristisch ist. Ich habe sie eben erst in einem der Sammelwerke über russische Geschichte gelesen, ich weiß nicht, ob im ›Archiv‹ oder ob im ›Altertum‹. Ich muß noch einmal nachschlagen, ich habe vergessen, wo ich sie gelesen habe ... Die Geschichte ereignete sich in der dunkelsten Zeit der Leibeigenschaft, zu Anfang dieses Jahrhunderts. – Es lebe der Befreier des Volkes! Da war zu Anfang des Jahrhunderts ein General mit engen Beziehungen nach oben, ein sehr reicher Gutsbesitzer, allerdings einer von den wenigen, glaube ich, die, wenn sie aus dem Dienst geschieden waren und sich in den Ruhestand zurückgezogen hatten, in der Überzeugung lebten, daß sie sich das Recht über Leben und Tod ihrer Untertanen erworben hätten. Solche Leute gab es damals. Nun, dieser General lebte also auf seinem Gut von zweitausend Seelen als großer Herr und behandelte seine kleinen Nachbarn wie Schmarotzer und Possenreißer. Er hatte eine Meute von mehreren hundert Hunden, dazu an die hundert Hundewärter, sämtlich uniformiert und beritten. Eines Tages nun warf ein Hofjunge, ein Bursche von acht Jahren, beim Spielen mit einem Stein und verletzte den Lieblingshund des Generals am Fuß. ›Wieso lahmt mein Lieblingshund?‹ Es wurde ihm berichtet. ›Ah, du bist das‹ sagte der General, ihn musternd. ›Nehmt ihn fest!‹ Er wurde seiner Mutter weggenommen, verhaftet und die ganze Nacht ins Arrestlokal gesperrt. Am anderen Morgen, bei Tagesanbruch, war der General, bereits in voller Parade, im Begriff, zur Jagd zu ziehen. Er stieg zu Pferde, umgeben von seinen Schmarotzern, den Hunden, den Hundewärtern, den Treibern, die sämtlich beritten waren. Zur Erbauung und Belehrung war das Hofgesinde versammelt, vor allen anderen stand die Mutter des Jungen. Der wurde aus dem Arrest herausgeführt. Es war ein trüber, kalter, nebliger Herbsttag, richtiges Jagdwetter. Der General befahl, den Jungen zu entkleiden. Das Kind wurde vollständig ausgezogen. Es zitterte, war vor Angst ganz durcheinander, und wagte keinen Ton von sich zu geben ... ›Hetzt ihn!‹ kommandierte der General. ›Lauf, lauf!‹ schrien die Hundewärter. Der Knabe lief. ›Faßt ihn!‹ brüllte der General und hetzte die ganze Meute der Jagdhunde auf ihn. Vor den Augen der Mutter rissen die Hunde den Kleinen in Stücke! Der General wurde unter Aufsicht gestellt, glaube ich. Was hätte man sonst mit ihm machen sollen? Ihn erschießen? Zur Befriedigung des sittlichen Gefühls erschießen? Sprich, Aljoschka«
    »Ja, erschießen« sagte Aljoscha leise mit einem blassen, verzerrten Lächeln und sah zu seinem Bruder auf.
    »Bravo« rief Iwan geradezu begeistert. »Wenn du das schon sagst ... du Asket! Sieh mal einer an, was für ein Teufel in deinem Herzchen sitzt, Aljoschka Karamasow«
    »Ich habe etwas Törichtes gesagt, aber ...«
    »Das ist es eben, dieses ›aber‹!« rief Iwan. »Merke dir, du Novize, Torheiten sind auf der Welt sehr nötig. Auf Torheiten beruht die Welt, und ohne Torheiten würde in der Welt vielleicht überhaupt nichts geschehen. Wir wissen, was wir wissen!«
    »Was weißt du?«
    »Ich weiß nichts«, fuhr Iwan wie im Fieber fort. »Und ich will auch jetzt nichts wissen. Ich will bei den Tatsachen bleiben. Ich habe mit schon längst vorgenommen, nichts zu begreifen. Wenn ich etwas begreifen will, verdrehe ich sofort die Tatsachen, und ich habe mir vorgenommen, bei den Tatsachen zu bleiben.«
    »Warum quälst du mich?« rief Aljoscha überaus bekümmert. »Wirst du mir das endlich sagen?«
    »Gewiß werde ich es dir sagen. Ich habe ja das Gespräch absichtlich darauf hingeleitet, es dir zu sagen. Du bist mir teuer, ich will dich nicht lassen und deinem Sossima nicht abtreten.«
    Iwan schwieg etwa eine Minute lang, und sein Gesicht wurde

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