Die Brueder Karamasow
nicht, ich werde mich unterwegs entscheiden.«
»Ach was, unterwegs, entscheide dich gleich! Entscheide dich, Täubchen! Wenn du mit ihm eine Übereinkunft erzielt hast, schreib zwei Zeilen und händige sie dem Popen aus, der wird mir dein Zettelchen sofort schicken. Dann werde ich dich nicht länger aufhalten, dann fahr meinetwegen nach Venedig! Der Pope wird dich mit seinem Wagen zur Station Wolowia zurückbringen ...«
Der Alte war geradezu entzückt. Er schrieb das Zettelchen, es wurde nach einem Wagen geschickt und ein Imbiß mit Kognak auf den Tisch gestellt. Wenn der Alte vergnügt war, wurde er sonst immer redselig; diesmal schien er sich jedoch Zurückhaltung aufzuerlegen. Von Dmitri Fjodorowitsch zum Beispiel sagte er nichts, kein einziges Wort. Die bevorstehende Trennung rührte ihn nicht besonders. Es machte sogar den Eindruck, als wüßte er nicht, wovon er sprechen sollte. Iwan Fjodorowitsch bemerkte das sehr wohl.
›Er hat mich doch wohl satt‹, dachte er im stillen.
Erst als der Alte seinen Sohn bis an die Haustür begleitet hatte, bekundete er eine Art von Unruhe und machte Anstalten,
ihn zu küssen. Doch Iwan Fjodorowitsch streckte ihm rasch die Hand zum Abschied hin, offenbar, um dem Küssen zu entgehen. Der Alte begriff das auch sofort und ließ von seinem Vorhaben ab.
»Nun, mit Gott, mit Gott!« sagte er ein paarmal von der Haustür aus. »Du wirst ja wohl noch einmal im Leben wiederkommen? Na, komm nur, ich werde mich immer freuen. Na, Christus sei mit dir!«
Iwan Fjodorowitsch stieg in den Wagen.
»Lebe wohl, Iwan! Schimpf nicht zu sehr über mich!« rief ihm der Vater zu guter Letzt noch zu.
Auch die ganze Dienerschaft war gekommen, um Abschied zu nehmen: Smerdjakow, Marfa und Grigori. Iwan Fjodorowitsch schenkte jedem von ihnen zehn Rubel.
Als er sich schon in den Wagen gesetzt hatte, sprang Smerdjakow hinzu, um ihm die Wagendecke zurechtzulegen.
»Siehst du, ich fahre nach Tschermaschnja«, sagte Iwan Fjodorowitsch auf einmal unwillkürlich, so wie am Abend vorher, als ihm die Worte auch wider Willen entschlüpft waren. Diese Mitteilung begleitete er mit einem nervösen Lachen.
Daran mußte er später noch lange denken.
»Also haben die Leute recht, wenn sie sagen, daß mit einem klugen Menschen auch ein kurzes Gespräch von Nutzen ist«, antwortete Smerdjakow fest und blickte Iwan Fjodorowitsch durchdringend an.
Die Pferde zogen an, und der Wagen fuhr schnell los. In der Seele des Reisenden sah es trüb aus; doch er schaute trotzdem eifrig nach den Feldern, den Hügeln, den Bäumen ringsum und nach einer Schar wilder Gänse, die hoch über ihm am hellen Himmel dahinflog. Und auf einmal wurde ihm wohl zumute. Er versuchte ein Gespräch mit dem Kutscher anzuknüpfen, und etwas von dem, was der Bauer antwortete, interessierte ihn außerordentlich. Einen Augenblick später merkte er aber, daß alles an seinen Ohren vorbeigeglitten war und er in Wirklichkeit nichts von dem, was der Bauer gesagt hatte, verstanden hatte. Er verstummte, und auch so war es schön: Die Luft war rein, frisch und ein bißchen kalt, der Himmel klar. Vor seinem geistigen Auge tauchten die Gestalten Aljoschas und Katerina Iwanownas auf; da lächelte er leise und hauchte die lieben Trugbilder an, sie zerstoben.
›Auch ihre Zeit wird kommen‹, dachte er.
Schnell erreichten sie die erste Station, wechselten die Pferde und jagten weiter in Richtung Wolowja.
›Warum ist mit einem klugen Menschen auch ein kurzes Gespräch von Nutzen? Was wollte er damit sagen?‹ Dieser Gedanke nahm ihm fast den Atem. ›Warum habe ich ihm aber auch mitgeteilt, daß ich nach Tschermaschnja fahre.‹
Sie waren in Wolowja angekommen. Iwan Fjodorowitsch stieg aus, und einige Fuhrleute umringten ihn. Er einigte sich mit einem von ihnen über den Preis einer Fahrt nach Tschermaschnja, zwölf Werst Landweg mit Mietspferden. Er befahl dem Kutscher anzuspannen. Dann ging er in das Stationsgebäude, schaute sich dort um, warf einen Blick auf die Frau des Postmeisters und ging wieder hinaus.
»Ich will nicht nach Tschermaschnja fahren. Komme ich noch zurecht zur Eisenbahn, zum Siebenuhrzug, Leute?«
»Wir werden es gerade schaffen. Befehlen Sie anzuspannen?«
»Ja, spann sofort an! Ist einer von euch morgen in der Stadt?«
»Gewiß doch. Hier, Mitri ganz sicher.«
»Kannst du mir einen Gefallen tun, Mitri? Bei meinem Vater Fjodor Pawlowitsch Karamasow vorbeigehen und ihm sagen, daß ich nicht nach Tschermaschnja gefahren bin?
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