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Die Brueder Karamasow

Die Brueder Karamasow

Titel: Die Brueder Karamasow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodr Michailowitsch Dostojewski
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erregenden Beredsamkeit beschreibt uns der Ankläger den furchtbaren Zustand des Angeklagten im Dorf Mokroje, als die Liebe sich ihm von neuem erschloß und ihn zu einem neuen Leben rief, während es ihm bereits unmöglich war zu lieben, da hinter ihm der blutige Leichnam seines Vaters lag und sich hinter diesem drohend die Strafe erhob. Und doch gab der Ankläger die Möglichkeit der Liebe zu; freilich erklärte er sie seiner Psychologie gemäß so: ›Es war ein Zustand der Trunkenheit. Ein Verbrecher wird zur Richtstätte gefahren, es scheint ihm noch weit zu sein‹ ... und so weiter und so fort. Aber ich frage wieder, haben Sie da nicht eine ganz andere Person geschaffen, Herr Ankläger? Ist der Angeklagte wirklich so roh und herzlos, daß er in jenem Augenblick noch an Liebe und an Ausflüchte vor Gericht denken konnte, wenn tatsächlich das Blut seines Vaters an seinen Händen geklebt hätte? Nein, nein und nochmals nein! Sowie ihm klargeworden war, daß sie ihn liebte, ihn zu sich rief, ihm ein neues Glück verhieß – oh, ich schwöre es, da hätte er zweifach, dreifach das Bedürfnis empfinden müssen sich zu töten! Und hätte sich auch unweigerlich getötet wenn der Leichnam seines Vaters hinter ihm gelegen hätte! O nein, er hätte nicht vergessen, wo seine Pistolen lagen! Ich kenne den Angeklagten: Die wilde, stumpfe Herzlosigkeit, die der Ankläger ihm zuschreibt, ist mit seinem Charakter unvereinbar. Er hätte sich getötet, das ist sicher! Und er tötete sich eben deshalb nicht, ›weil seine Mutter für ihn gebetet hatte‹ und sein Herz am Blut seines Vaters unschuldig war. Er quälte sich in jener Nacht in Mokroje nur um den alten Grigori, den er zu Boden geschlagen hatte, und betete zu Gott, der alte Mann möge wieder zu sich kommen und aufstehen, der Schlag, den er ihm versetzt hatte, möge nicht tödlich sein, und diese Prüfung möge an ihm vorübergehen. Warum sollte man eine solche Deutung der Ereignisse nicht akzeptieren? Welchen sicheren Beweis haben wir dafür, daß der Angeklagte uns belügt? ›Aber da ist der Leichnam des Vaters!‹, wendet man sofort wieder ein. ›Wenn er davongelaufen ist, ohne den Mord begangen zu haben – wer hat denn dann den alten Mann ermordet?‹ Ich wiederhole, die ganze Logik der Anklage ist folgende: ›Wer hat den Mord begangen, wenn nicht er? Es ist niemand vorhanden, den man an seine Stelle setzen könnte!‹ Meine Herren Geschworenen, ist dem wirklich so? Kann man tatsächlich niemand an seine Stelle setzen? Wir haben gehört, wie die Anklage uns an den Fingern alle Personen vorzählte, die in jener Nacht in diesem Haus gewesen sind. Es kamen fünf Personen heraus. Drei von ihnen, da stimme, ich zu, dürften kaum für die Tat in Betracht kommen: nämlich der Ermordete selbst, der alte Grigori und seine Frau. Es bleiben somit der Angeklagte und Smerdjakow, und da erklärt nun der Ankläger voller Pathos, der Angeklagte verweise deswegen auf Smerdjakow, weil er auf sonst niemand verweisen könne; wäre noch irgendein sechster da oder auch nur der Schatten eines sechsten, so würde der Angeklagte aus Scham sofort von selbst aufhören, Smerdjakow zu beschuldigen, und auf diesen sechsten verweisen. Meine Herren Geschworenen, warum sollte ich nicht völlig entgegengesetzt schließen können? Es stehen zwei Menschen vor uns: der Angeklagte und Smerdjakow – warum sollte ich nicht sagen können, daß Sie meinen Klienten nur deswegen beschuldigen, weil Sie keinen anderen haben, den Sie beschuldigen könnten? Und Sie haben nur deswegen keinen anderen, weil Sie Smerdjakow in totaler Voreingenommenheit von vornherein von jeder Beschuldigung ausgeschlossen haben. Ja, es ist wahr, auf Smerdjakow verweisen mit Bestimmtheit nur der Angeklagte, seine beiden Brüder und Fräulein Swetlowa, weiter niemand. Dabei gibt es auch sonst noch diesen und jenen, der auf ihn verweist. Es herrscht in der Gesellschaft eine gewisse, wenn auch unklare Gärung; man wirft eine Frage auf, man äußert einen Verdacht, man hört ein undeutliches Gerücht, man spürt, daß eine bestimmte Erwartung in der Luft liegt. Schließlich legt auch ein gewisses Zusammentreffen von Tatsachen ein Zeugnis ab, das sehr charakteristisch, obgleich, wie ich gestehe, ziemlich unbestimmt ist. Erstens dieser epileptische Anfall ausgerechnet am Tag der Katastrophe, den der Ankläger aus irgendwelchen Gründen so eifrig in Schutz zu nehmen und zu verteidigen für nötig hielt. Dann dieser plötzliche

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