Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Brueder Karamasow

Die Brueder Karamasow

Titel: Die Brueder Karamasow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodr Michailowitsch Dostojewski
Vom Netzwerk:
und hört – und zwar handelt sie so nicht mit Berechnung, sondern instinktiv! Meine Herren Geschworenen, die Psychologie ist ein Stab mit zwei Enden, und wir verstehen uns ebenfalls auf diese Wissenschaft. Was nun das Geschrei betrifft, das er während dieses Monats in den Wirtshäusern veranstaltet hat, so möchte ich bemerken: Wie oft schreien betrunkene Zechbrüder, die aus den Schenken kommen, oder Kinder, die sich miteinander zanken: ›Ich schlage dich tot!‹ Aber sie schlagen keinen tot. Und auch dieser verhängnisvolle Brief – nun, ist der nicht ebenfalls der Ausfluß der gereizten Stimmung eines Betrunkenen? Steht er nicht auf gleicher Stufe mit dem Geschrei eines Menschen, der aus der Schenke herauskommt: ›Ich schlage euch alle tot!‹ Warum muß er anders aufgefaßt werden? Warum konnte es nicht so sein? Warum ist dieser Brief verhängnisvoll und nicht vielmehr lächerlich? Der Grund ist der, daß die Leiche des ermordeten Vaters gefunden worden ist und daß ein Zeuge den Angeklagten mit einer Waffe im Garten auf der Flucht gesehen hat und selbst von ihm zu Boden geschlagen wurde; also ist alles so ausgeführt worden, wie es geschrieben stand, und darum ist auch der Brief nicht lächerlich, sondern verhängnisvoll. Gott sei Dank, wir sind an den Kernpunkt gelangt: ›Wenn er im Garten war so bedeutet das, er hat auch den Mord begangen.‹ In diesen beiden Sätzchen erschöpft sich alles, die ganze Anklage: ›Er war, also bedeutet das zweifellos...‹ Doch wenn das nun nichts ›bedeutet‹, obgleich er ›war‹? Oh, ich gebe zu, daß dieses Zusammentreffen der Tatsachen wirklich eine gewisse Überzeugungskraft hat. Aber betrachten Sie doch alle diese Tatsachen einzeln, ohne sich durch ihr Zusammentreffen einschüchtern zu lassen: Warum will die Anklage zum Beispiel um keinen Preis die Wahrheit der Aussage des Angeklagten anerkennen, daß er vom Fenster seines Vaters weggelaufen ist? Erinnern Sie sich bitte, in welchen Sarkasmen sich die Anklage sogar über die respektvollen und ›frommen‹ Gefühle ergeht, die den Mörder auf einmal überkommen hätten. Wie, wenn es dort in der Tat etwas Ähnliches gab, das heißt zwar nicht gerade respektvolle, aber doch fromme Gefühle? ›Meine Mutter muß wohl in diesem Augenblick für mich gebetet haben‹, sagte der Angeklagte bei der Voruntersuchung. Und er lief davon, sowie er sich davon überzeugt hatte, daß Fräulein Swetlowa nicht im Hause seines Vaters war. ›Aber davon konnte er sich nicht durchs Fenster überzeugen‹, erwidert uns die Anklage. Warum soll er das nicht gekonnt haben? Das Fenster war ja auf das Klopfsignal des Angeklagten hin geöffnet worden. Fjodor Pawlowitsch konnte irgendein Wort sagen, ihm konnte irgendein Ausruf entfahren – und der Angeklagte konnte dadurch plötzlich zu der Sicherheit gelangen, daß Fräulein Swetlowa nicht dort war. Warum muß man denn unbedingt annehmen, daß es sich genauso abgespielt hat, wie wir es uns vorstellen, wie wir nun einmal beschlossen haben, es uns vorzustellen? In Wirklichkeit können tausend Dinge mitspielen, die der Kombination des scharfsinnigsten Romanschriftstellers entgehen. ›Ja, aber Grigori hat die Tür offen gesehen. Somit ist der Angeklagte mit Sicherheit im Haus gewesen; folglich hat er auch den Mord begangen.‹ Also diese Tür, meine Herren Geschworenen ... Sehen Sie, daß diese Tür offenstand, bezeugt nur eine einzige Person, die sich zu jener Zeit jedoch in einem Zustand befand, daß ... Aber meinetwegen, mag die Tür meinetwegen offengestanden haben, mag es der Angeklagte in dem Bestreben, sich zu verteidigen, geleugnet haben, was in seiner Lage so verständlich ist; mag er meinetwegen in das Haus eingedrungen sein,– na und, was weiter? Warum muß er, wenn er drinnen war, notwendigerweise auch den Mord begangen haben? Er konnte eindringen, durch die Zimmer laufen, den Vater beiseite stoßen, ihn sogar schlagen; doch nachdem er festgestellt hatte, daß Fräulein Swetlowa nicht bei ihm war, konnte er davongelaufen sein, erfreut darüber, daß sie nicht da war. Und vielleicht sprang er auch eine Minute später deshalb zu Grigori hinunter, den er im Jähzorn zu Boden geschlagen hatte, weil er jetzt eines reinen Gefühls fähig war, des Gefühls der Teilnahme und des Mitleids, weil er der Versuchung, seinen Vater totzuschlagen, entflohen war, weil er in sich ein reines Herz fühlte und sich freute, daß er den Vater nicht totgeschlagen hatte. Mit einer geradezu Entsetzen

Weitere Kostenlose Bücher