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Die Brüder Karamasow

Die Brüder Karamasow

Titel: Die Brüder Karamasow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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Ausdeutungen beraubten die Schwachsinnige keineswegs der allgemeinen Sympathie; im Gegenteil alle begannen sie noch mehr zu beschützen und zu behüten. Die wohlhabende Kaufmannswitwe Kondratjewa richtete es sogar ein, daß sie Lisaweta Ende April zu sich nahm, um sie vor der Entbindung nicht wieder fortzulassen. Man überwachte sie sorgsam, doch trotz aller Überwachung brachte es Lisaweta fertig, sich am letzten Abend heimlich von Frau Kondratjewa zu entfernen und in Fjodor Pawlowitschs Garten zu gelangen. Wie sie in ihrem Zustand über den hohen, festen Plankenzaun gestiegen war, blieb einigermaßen rätselhaft. Die einen behaupteten, Menschen hätten ihr herübergeholfen, andere, eine übernatürliche Macht habe die Hand im Spiele gehabt. Das Wahrscheinlichste ist, daß alles auf eine zwar sehr seltsame, aber doch natürliche Weise zugegangen war: daß Lisaweta, die über Flechtzäune in fremde Gärten zu steigen verstand, um dort zu nächtigen, irgendwie auch auf Fjodor Pawlowitschs Gartenzaun hinaufgeklettert und von dort, allerdings zu ihrem Schaden, trotz ihres Zustandes in den Garten hinabgesprungen war.
    Grigori eilte zu Marfa Ignatjewna und schickte sie zu Lisaweta, damit sie ihr half. Er selbst lief zu einer alten Hebamme, die zum Glück in der Nähe wohnte. Das Kind wurde gerettet, aber Lisaweta starb bei Tagesanbruch. Grigori nahm das Kind, trug es ins Haus, legte seiner Frau das Kind auf die Knie, unmittelbar an die Brust, und sagte: »Eine Waise ist Gottes Kind und mit allen verwandt, diese hier aber mit mir und dir ganz besonders. Dieses Kind hat uns unser kleiner Verstorbener geschickt. Es stammt ab von einem Sohn des Teufels und von einer Gerechten. Nähre es und weine nicht mehr!« So zog denn Marfa Ignatjewna den Knaben auf. Sie ließen ihn taufen und nannten ihn Pawel, mit Vatersnamen aber nannte man ihn allmählich ganz von selbst, ohne daß es jemand angeordnet hätte, Fjodorowitsch. Fjodor Pawlowitsch erhob keinen Einspruch und fand das alles sogar amüsant, obgleich er weiterhin energisch bestritt, mit der Sache etwas zu tun zu haben. Den Einwohnern unserer Stadt gefiel es, daß er den verwaisten Knaben aufgenommen hatte. Später erfand Fjodor Pawlowitsch für ihn auch einen Familiennamen; er nannte ihn Smerdjakow, nach dem Beinamen »Smerdjastschaja« – die Stinkende, den seine Mutter Lisaweta gehabt hatte. Dieser Smerdjakow also wurde dann Fjodor Pawlowitschs zweiter Diener und wohnte zu Beginn unserer Erzählung im Seitengebäude, zusammen mit dem alten Grigori und der alten Marfa. Er war als Koch eingesetzt. Gern würde ich noch dies und das speziell über ihn berichten, aber ich schäme mich, die Aufmerksamkeit meines Lesers so lange für gewöhnliche Dienstboten in Anspruch zu nehmen, und gehe daher wieder zu meiner Erzählung über, hoffend, daß der weitere Verlauf der Geschichte ganz von selbst Anlaß zu weiteren Mitteilungen über Smerdjakow geben wird.
3. Beichte eines heißen Herzens (in Versen)
    Als Aljoscha den Befehl seines Vaters hörte, den dieser ihm bei der Abfahrt vom Kloster aus dem Wagen zuschrie, blieb er eine Weile in verständnislosem Staunen auf dem Fleck stehen. Nicht daß er lange wie ein Pfahl dagestanden hätte, das war nicht der Fall. Im Gegenteil: trotz aller Beunruhigungen brachte er es bald fertig, in die Küche des Abtes zu gehen und sich zu erkundigen, was sein Papa angerichtet habe. Dann machte er sich auf den Weg in die Stadt, in der Hoffnung, es könnte ihm unterwegs irgendwie gelingen, das quälende Rätsel zu lösen. Dies im voraus: Das Geschrei seines Vaters und der Befehl, »mit Kopfkissen und Matratze« nach Hause umzuziehen, schreckten ihn nicht im mindesten. Er wußte, dieser laute und ostentativ herausgebrüllte Befehl zum Umzug war »in der Hitze« erteilt worden, sozusagen um der Schönheit willen – ähnlich wie unlängst ein betrunkener Kleinbürger unseres Städtchens an seinem Namenstag, wütend darüber, daß man ihm keinen Branntwein mehr gab, in Gegenwart seiner Gäste plötzlich sein eigenes Geschirr zerschlug, seine und seiner Frau Kleider zerriß, seine Möbel zerbrach und zuletzt die Fensterscheiben im Hause einschlug – und alles nur um des schönen Scheins willen. Etwas ganz Ähnliches war jetzt auch bei Aljoschas Papa der Fall. Als der betrunkene Kleinbürger am anderen Tage wieder nüchtern geworden war, tat es ihm natürlich leid um seine zerschlagenen Tassen und Teller. Aljoscha wußte, der Alte würde ihn schon am

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