Die Brüder Löwenherz
Zeit und in keinem Land je ein Feuer auf einem Lagerplatz gebrannt hat, das unserem glich.
Es war ein fürchterlicher Platz, schrecklich und schön wie kein anderer im Himmel oder auf Erden, glaub ich. Die Berge und der Fluß und der Wasserfall, alles war so riesig und überwältigend. Wieder war mir wie in einem Traum, und ich sagte zu Jonathan: »Glaube nicht, daß dies Wirklichkeit ist! Es muß ein Stück aus einem Urzeittraum sein, ganz bestimmt!« Wir standen auf der Brücke, dieser Hängebrücke, die Tengil über dem Abgrund hatte errichten lassen, der die Länder trennte. Karmanjaka und Nangijala, diesseits und jenseits des Flusses Der Uralten Flüsse.
Dieser Strom kam tief unter uns im Abgrund herangebraust und stürzte sich mit Getöse den Karmafall hinunter, in noch größere und schrecklichere Tiefen.
Ich fragte Jonathan: »Wie kann man über so fürchterliche Tiefen eine Brücke schlagen?«
»Ja, das möchte ich auch wissen«, sagte er. »Und wie viele Menschenleben es gekostet hat wie viele mit einem Aufschrei abgestürzt und im Karmafall verschwunden sind, das möchte ich auch wissen.«
Ich schauderte. Mir war, als hörte ich noch die Schreie zwischen den Bergwänden widerhallen.
Wir waren jetzt ganz nahe an Tengils Land. Jenseits der Brücke konnte ich einen Pfad sehen, der sich zwischen den Bergen Der Uralten Berge in Karmanjaka hinaufwand. »Folgst du diesem Pfad, dann kommst du zu Tengils Burg«, sagte Jonathan.
Ich schauderte noch mehr. Doch ich dachte: Mag morgen kommen, was will -
heute abend sitze ich jedenfalls zum erstenmal in meinem Leben mit Jonathan an einem Lagerfeuer! Wir hatten es auf einer Felsplatte angezündet hoch über dem Wasserfall und dicht bei der Brücke. Ich setzte mich so, daß ich allem den Rücken zukehrte. Ich wollte die Brücke, die zu Tengils Land führte, nicht sehen und auch alles andere nicht. So sah ich nur den Schein des Feuers, der flackernd zwischen den Bergwänden hin und her huschte. Es war schön und ein bißchen unheimlich, selbst dies. Aber dann sah ich Jonathans liebes Gesicht im Feuerschein und die Pferde, die ein Stück von uns entfernt ruhten.
»Dies Lagerfeuer ist viel schöner als mein erstes«, sagte ich. »Denn jetzt bin ich ja mit dir zusammen, Jonathan!« Wo ich auch war, immer fühlte ich mich geborgen, wenn Jonathan bei mir war, und ich war glücklich, mit ihm endlich einmal an einem Lagerfeuer zu sitzen, von dem wir so oft gesprochen hatten, als wir noch auf Erden lebten.
»Die Zeit der Lagerfeuer und der Sagen, weißt du noch, daß du das gesagt hast?«
fragte ich Jonathan. »Ja, ich weiß«, sagte Jonathan. »Aber damals ahnte ich noch nicht, daß es auch in Nangijala böse Sagen gibt.«
»Muß das immer so sein?« fragte ich. Er starrte eine Weile stumm ins Feuer.
»Nein«, sagte er dann, »wenn der Kampf einmal vorüber ist, wird Nangijala wohl wieder ein Land, wo Sagen und Märchen schön sind und das Leben leicht und einfach ist wie früher.« Das Feuer flammte auf, und in seinem Schein sah ich, wie erschöpft und traurig Jonathan war.
»Aber dieser letzte Kampf, Krümel, kann nur ein böses Märchen sein, eine Sage vom Tod und nichts als dem Tod. Und deshalb muß Orwar diesen Kampf leiten, nicht ich. Denn ich tauge nicht dazu, einen Menschen zu töten.« Ich weiß, daß du das nicht kannst, dachte ich. Dann fragte ich ihn: »Warum hast du diesem Park das Leben gerettet? War das wirklich recht?«
»Ich weiß nicht, ob es recht war«, antwortete Jonathan. »Aber es gibt Dinge, die man tun muß, sonst ist man kein Mensch, sondern nur ein Häuflein Dreck, das habe ich dir schon früher gesagt.«
»Und wenn er nun gemerkt hätte, wer du bist?« fragte ich. »Wenn sie dich nun gefangengenommen hätten!« »Ja, dann hätten sie eben Löwenherz gefangen und kein Häuflein Dreck«, sagte Jonathan.
Unser Feuer brannte nieder, und Dunkelheit senkte sich über die Berge. Zuerst kam die Dämmerung, die alles für eine Weile sanft und freundlich machte. Dann aber brach über uns die schwarze, tosende Finsternis herein, in der man nur den Karmafall hörte und die kein Lichtfünkchen erhellte. Ich kroch ganz nahe an Jonathan heran. So saßen wir an die Bergwand gelehnt und redeten in der Finsternis miteinander.
Angst hatte ich nicht, aber eine seltsame Unruhe hatte mich gepackt. Wir müßten jetzt schlafen, sagte Jonathan, doch ich wußte, daß ich nicht schlafen konnte. Diese Unruhe schnürte mir die Kehle zu, so daß ich kaum sprechen
Weitere Kostenlose Bücher