Die Brüder Löwenherz
Pferde verstecken, weil sie ja nicht klettern könnten.
Wir führten sie in eine geschützte Felskluft gerade unterhalb des Katlaberges, und dort ließen wir auch unsere sonstige Habe. Jonathan gab Grim einen Klaps und sagte: »Wartet hier auf uns, wir machen nur einen Erkundungsgang.« Dieser Erkundungsgang gefiel mir ganz und gar nicht. Ich mochte mich auch nicht von Fjalar trennen. Aber mir blieb nichts anderes übrig.
Es dauerte eine gute Weile, bis wir oben auf dem Plateau angelangt waren, und ich war müde. Als Jonathan meinte, wir könnten ein bißchen verschnaufen, warf ich mich sofort der Länge nach auf die Erde. Jonathan tat es auch, und so lagen wir dort oben auf dem Katlaberg, den weiten Himmel über uns und die Katlahöhle unter uns. Es war schon seltsam zu wissen, daß unter uns diese unheimliche Höhle mit all ihren Gängen und Nischen lag, wo so viele Menschen verschmachtet und umgekommen waren. Und hier draußen flatterten Schmetterlinge im Sonnenschein umher, am blauen Himmel über uns segelten weiße Wölkchen, und um uns herum blühten Blumen im Gras. Wahrhaftig: Auf dem Dach der Katlahöhle blühten Blumen!
Plötzlich mußte ich denken: Wenn dort unten schon so viele umgekommen sind, dann ist vielleicht auch Orwar tot. Ich fragte Jonathan, was er glaube. Doch er antwortete mir nicht. Er starrte nur in den Himmel, er dachte an etwas anderes, das merkte ich. Schließlich sagte er: »Wenn es wirklich wahr ist daß Katla ihren Urzeitschlaf in der Katlahöhle geschlafen hat, wie ist sie dann nach dem Erwachen herausgekommen? Das Bronzetor hat es damals schon gegeben» Tengil hat die Katlahöhle schon immer als Gefängnis benutzt.« »Während Katla dort drinnen schlief?« fragte ich. »Ja, während Katla dort schlief«, sagte Jonathan. »Ohne daß jemand etwas von ihr wußte.«
Mich überlief es kalt. Schlimmeres konnte ich mir nicht vorstellen. In der Katlahöhle gefangen sitzen und plötzlich einen Drachen auf sich zukriechen sehen!
Aber Jonathan hatte andere Gedanken im Kopf. »Sie muß irgendwo anders herausgekommen sein«, sagte er. »Und diese Stelle muß ich finden, und wenn ich ein ganzes Jahr danach suche!« Lange konnten wir nicht rasten. Jonathan hatte keine Ruhe.
Nach einer kurzen Wanderung über den Berg näherten wir uns der Katlahöhle.
Tief unter uns sahen wir schon den Fluß und auf der anderen Seite Nangijala, oh, wie ich mich dahin zurücksehnte!
»Schau doch, Jonathan«, rief ich. »Ich kann den Weidenbaum sehen, wo wir gebadet haben! Dort auf der anderen Seite des Flusses!«
Es war wie ein Gruß über das Wasser hin, ein kleiner grüner Gruß von einem freundlichen Ufer.
Jonathan machte mir ein Zeichen, still zu sein. Er fürchtete wohl, jemand könne uns hören. Wir waren jetzt dicht am Steilhang, hier endete der Katlaberg. Und in dieser Felswand unter uns befand sich das Bronzetor zur Katlahöhle. Das hatte Jonathan mir gesagt. Nur war es von hier oben nicht zu sehen. Aber die Wachtposten konnten wir sehen. Drei Tengilmänner waren es, und mir pochte das Herz, als ich ihre Helme sah. Um hinuntersehen zu können, waren wir auf dem Bauch bis zur Felskante gekrochen. Hätten die Tengilmänner einen einzigen Blick nach oben geworfen, hätten sie uns entdeckt. Aber faulere Wachtposten konnte es kaum geben. Sie sahen weder nach rechts noch nach links, weder nach unten noch nach oben. Sie machten Würfelspiele und kümmerten sich um nichts anderes.
Durch das Bronzetor konnte ohnehin kein Feind gelangen, und was brauchten sie dann wachsam zu sein? Plötzlich sahen wir, wie sich das Tor dort unten öffnete, jemand kam aus der Höhle - noch ein Tengilmann! Er hielt einen leeren Eßnapf in der Hand, den er jetzt zu Boden warf. Das Tor fiel hinter ihm zu, und wir hörten ihn abschließen. »So, das war der letzte Fraß für dieses Schwein«, sagte er.
Die anderen lachten, und einer von ihnen sagte: »Weiß er eigentlich, was für ein besonderer Tag heute ist? Der letzte seines Lebens. Du hast ihm doch wohl gesagt, daß Katla heute abend, sobald es dunkel geworden ist, auf ihn wartet!« »Ja, und wißt ihr, was er darauf geantwortet hat? »Also endliche, hat er gesagt. Und dann bat er, das Heckenrosental zu grüßen. Was sagte er noch? »Orwar kann sterben, doch die Freiheit nie! ««
»Er kann mich mal«, sagte der andere. »Das soll er heute abend Katla erzählen. Er wird schon hören, was sie ihm antwortet.«
Ich sah Jonathan an. Er war blaß geworden. »Komm«, sagte er.
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