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Die Bucht des grünen Mondes

Die Bucht des grünen Mondes

Titel: Die Bucht des grünen Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Beto
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Blick zur Seite zeigte ihr, dass der Vater nur die Schultern hob. Dieser Einwand spielte nun wirklich keine Rolle, schließlich war es üblich, weitaus ältere Männer zu heiraten. Die durften ihr Leben aufbauen, während man selbst vom heimischen Mädchenzimmer in ein fremdes Schlafzimmer geschoben wurde. Schon ihre Mutter hatte gesagt, dass es Liebe nur in der Schundliteratur gäbe. Und sie, Amely, hatte geglaubt, das seltene Glück zu haben, es mit Julius anders zu treffen.
    «Du wirst dich an Kilian gewöhnen. Und, bitte, fang jetzt nicht an zu weinen. Alles ist beschlossen.»
    Sie weinte. Sie spürte die Tränen im Wind erkalten.
    «Einen Mann zu heiraten, der einem noch fremd ist, das ist ja nichts Außergewöhnliches.» Seine Finger kneteten die Brieftasche, die er noch immer hielt. «Da ergeht’s dir nun nicht anders als anderen Frauen.»
    «Aber die müssen nicht über den Atlantik. In den Dschungel.»
    «Die würden dich um so ein Abenteuer beneiden. Im Übrigen befindet sich Manaus zwar mitten im Regenwald, ist aber eine hochentwickelte Stadt; es gibt eine Straßenbahn und Telephon, und kulturell bietet sie so einiges. Man nennt sie das Paris der Tropen. Gustave Eiffel hat dort gebaut, stell dir vor! Selbstverständlich würde ich dich nirgends hinschicken, wo es langweilig oder gefährlich ist.»
    «Wenn ich weg bin, kann niemand die Firma erben.»
    «Diese Frage haben wir auch schon geklärt. Dein Erstgeborener bleibt in Brasilien. Den zweiten Jungen schickt Kilian dann her, wenn er alt genug ist.»
    Ihr Vater hatte sich hinter einer unsichtbaren Mauer verschanzt, und ihre armseligen Einwände prallten ab. Ihre Brust kämpfte gegen das Korsett an. Es war viel zu eng geschnürt, sie würde ersticken. Sie krampfte die Finger um die Gondelkette vor ihrem Schoß, wollte sie aushaken, um zu flüchten. Jetzt, sofort, aus großer Höhe. Aber sie ermahnte sich, in die Ferne zu schauen. Weiterzuatmen. Das war alles nur ein Irrtum. Ein Spiel. Ein Traum. Alles, nur nicht die Wahrheit. Die lag dort draußen; dort breitete sich unter ihr der bunte Zoologische Garten aus. Dahinter der weitläufige Park des Tiergartens, überragt von der in der Sonne gleißenden Siegessäule. Im Westen konnte sie das Brandenburger Tor erkennen. Weithin das Häusermeer, bis zum Horizont. Ihre Heimat.
    «Ich möchte dir noch etwas zeigen, Amely-Kind.»
    Nicht noch mehr, und nenn mich nicht Amely-Kind
. Aus dem Augenwinkel sah sie eine Postkarte aus der Brieftasche auftauchen. Die Zeichnung darauf erinnerte an das Amazonasdorf, durch das sie mit Julius eben noch gelaufen war. Eine Wand aus grünen Bäumen, bunten Blüten und davor eine Hütte. Der Vater drehte die Karte um und reichte sie ihr. Amely verschränkte die Finger über dem Schoß, doch die Augen vermochte sie vor der übertrieben geschwungenen Schrift nicht zu verschließen.
    Liebste Amely, ich weiß, dass Du die Oper liebst. Hier wird derzeit ein Operntheater gebaut. Hier, mitten in der Wildnis. Man wird es mit La Gioconda einweihen. Freu Dich darauf. Für immer Dein, Kilian
.
    Das alles war nicht nur unfasslich, es war grotesk.
    «Die Formalitäten deiner Auswanderung sind größtenteils schon erledigt», erklärte der Vater. Etwas linkisch steckte er die Karte zurück in die Brieftasche. «Da du einen Ehemann in Brasilien haben wirst, ging das alles sehr einfach. Der Platz in einer der besten Kabinen der Hamburg-Südamerikanischen Dampfschifffahrtsgesellschaft ist bereits gebucht. Und wenn du willst, kannst du Bärbel mitnehmen. Sie ist einverstanden, mit dir auf große Fahrt zu gehen.»
    «Wann hast du sie denn gefragt?»
    «Vor ein paar Wochen.»
    «So, das Dienstmädchen wusste es schon lange! Aber nicht deine Tochter.»
    «Amely-Kind …»
    «Und hör auf,
hör auf
, bei Gott», schrie sie ihn voll kalter Wut an, «mich Amely-Kind zu nennen!»
    Er hob die Hand zu einer Ohrfeige. In seinen Augen stand jedoch Erschrockenheit, und er hielt mitten in der Bewegung inne. Sie fuhr herum. Und entdeckte augenblicklich Julius im Gewühl. Sie hakte die Kette auf und lehnte sich aus der sich dem Boden nähernden Gondel. «Anhalten!», rief sie so laut, dass jeder in der Nähe sich umsah. «Bitte anhalten, mir ist übel!»
    Hinter ihr mahnte der Vater zur Besonnenheit. Aber da stand sie schon, ergriff die Hand eines jungen Mannes und stieg hinaus. Den Rock gerafft, rannte sie in ungebührlicher Hast über die Wege. Hier und da wurde sie ob ihres lauten Schluchzens angestarrt, aber

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