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Die Bücherdiebin

Die Bücherdiebin

Titel: Die Bücherdiebin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Zusak
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Pedal und ließ das Ohr los.
    Eine Zeit lang gingen sie schweigend nebeneinanderher, bis Rudi sagte: »Ich wünschte, ich wäre wie Jesse Owens, Papa.«
    Diesmal legte Herr Steiner seine Hand auf Rudis Kopf und erklärte ihm: »Ich weiß, mein Sohn - aber du hast wunderschöne blonde Haare und große, beruhigend blaue Augen. Darüber solltest du froh sein, ist das klar?«
    Aber nichts war klar.
    Rudi verstand rein gar nichts, und diese Nacht war nur das Vorspiel dessen, was bald folgen sollte. Zweieinhalb Jahre später war von Herrn Kaufmanns Schuhgeschäft lediglich zerbrochenes Glas übrig, nachdem auch die Schuhe, noch in ihren Kartons, auf einen Lastwage n geworfen worden waren.
    die rückseite von sandpapier
    Menschen haben Schlüsselerlebnisse, nehme ich an, besonders wenn sie noch jung sind. Für die einen ist es eine Jesse-Owens-Sache, für die anderen ein bettnässender Albtraum:
    Ende Mai 1939. Der Abend war wie die meisten anderen verlaufen. Mama hatte ihre Eisenfaust geschüttelt. Papa war ausgegangen. Liesel wischte die Haustür sauber und betrachtete den Himmel über der Himmelstraße.
    Früher am Abend hatte eine Parade stattgefunden.
    Eine Gruppe aus dem harten Kern der NSDAP - der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei -, in ihre braunen Hemden gewandet, war die Münchener Straße entlangmarschiert. Ihre Banner hatten stolz geweht, und ihre Gesichter waren erhoben gewesen, als steckten sie auf Stöcken. Auf ihren Stimmen hatten Lieder gesessen und hatten sich schließlich zu einem brüllenden Choral vereinigt: »Deutschland, Deutschland über alles.«
    Wie üblich wurden sie beklatscht.
    Man feuerte sie an auf ihrem Weg Gott weiß wohin.
    Die Leute standen am Straßenrand und schauten zu, manche mit zum Hitlergruß steif ausgestrecktem Arm, andere mit vom Applaus brennenden Handflächen. Einige trugen Mienen, die vor Stolz und Führerliebe verzerrt waren, wie Frau Lindner, und dann gab es vereinzelt jene anderen wie Alex Steiner, die wie ein menschlich geformter Holzklotz dastanden und bedächtig und pflichtbewusst klatschten. Voller Schönheit. Die Unterwerfung.
    Auf dem Bürgersteig standen Liesel, ihr Papa und Rudi. Hans Hubermann hatte ein Gesicht aufgelegt, in dem alle Vorhänge zugezogen waren.
    EIN PAAR WILLKÜRLICHE ZAHLEN
    1933 war die Mehrheit der Deutschen für Adolf Hitler. Eine Minderheit war gegen ihn. Hans Hubermann gehörte zu dieser Minderheit. Und dafür gab es einen Grund.
    In der Nacht träumte Liesel, wie immer. Zunächst sah sie die Braunhemden marschieren, aber schon bald führten sie Liesel zu einem Zug, wo die übliche Erkenntnis auf sie wartete. Ihr Bruder mit dem starren Blick.
    Als sie schreiend aufwachte, wusste Liesel sofort, dass etwas anders war. Ein Geruch schlich sich unter der Decke hervor, warm und widerlich. Zunächst versuchte sie, sich einzureden, dass nichts passiert wäre, aber als Papa näher kam und sie in den Arm nahm, flüsterte sie ihm ein Geständnis ins Ohr.
    »Papa«, flüsterte sie, »Papa.« Das war alles. Er konnte es ohnehin riechen.
    Sanft hob er sie vom Bett und trug sie ins Badezimmer. Das Schlüsselerlebnis folgte ein paar Minuten später.
    »Wir ziehen das Bett ab«, sagte Papa, und als er unter die Matratze griff, um das Laken herauszuziehen, löste sich etwas, wurde mit dem Laken hervorgeschleudert und landete mit einem dumpfen Aufprall auf dem Boden. Ein schwarzes Buch mit silberner Schrift lag jetzt zwischen den Füßen des großen Mannes.
    Er schaute darauf hinab.
    Er schaute das Mädchen an, das schüchtern mit den Schultern zuckte.
    Dann las er den Titel laut vor, mit äußerster Konzentration: »Handbuch für Totengräber«.
    So heißt es also, dachte Liesel.
    Ein Flecken Stille lag zwischen ihnen dreien. Dem Mann, dem Mädchen und dem Buch. Er hob es auf und sagte, so weich wie Watte:
    EIN GESPRÄCH UM ZWEI UHR MORGENS
    »Ist das deins?« »Ja, Papa.« »Willst du es lesen?« Wieder: »Ja, Papa.« Ein müdes Lächeln. Metallische Augen, schmelzend. »Na, dann lesen wir es wohl besser.«
    Vier Jahre später, als sie im Keller anfing zu schreiben, wurden Liesel zwei Dinge über das Trauma jenes Bettnässens klar. Zum einen war sie überglücklich, dass es Papa war, der das Buch gefunden hatte. (Glücklicherweise hatte Rosa immer Liesel das Bett abziehen lassen, wenn die Bettwäsche gewaschen werden musste. »Und zwar schnell, Saumensch! Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit!«) Zweitens war sie uneingeschränkt stolz auf die

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