Die BUNTE Story
Prolog
Zwölf Jahre lang war ich Redakteur bei »Bunte«, vom 10. Februar 1974 bis zum 6. Januar 1986. Zuerst als Urlaubsvertretung, dann als teuer bezahlter Lehrling eingesetzt, leitete ich schließlich ab 1976 als voll verantwortlicher Chefredakteur das Blatt.
Während meines Studiums der Kunstgeschichte in München hatte ich mir zwischen Tizian und Rubens, dem Auf- und Abstieg sozialer Schichten, den Theorien von Marx, Weber und Lacan nie träumen lassen, einmal diese Tätigkeit auszuüben.
Aus dem Doktorandenseminar des Kunsthistorikers Hans Sedlmayr geriet ich in die Welt der Yellow Press. Jetzt zählten nicht mehr Heidegger, Handke, Nietzsche oder Beethoven, sondern Heintje, Roy Black, Peter Alexander und Inge Meysel.
Ende 1990 erregte eine Ausstellung im New Yorker »Museum of Modern Art« mit dem Titel »High and Low« die internationale Kunst- und Kulturszene. Der Kunsthistoriker und damalige Kurator des Hauses, Kirk Varnedoe, wollte damit zeigen, wie in der modernen Kunst Hochkultur und Trivialkultur aufeinanderprallen und sich vermischen, wie moderne Künstler sich aus den Plakaten der Werbung und des frühen Films, Motiven der Zigarettenpackungen und Zeitungsannoncen ihre Motive und Anregungen holten.
Jahre später, beim nochmaligen Durchblättern des imposanten Ausstellungskatalogs, wurde mir schlagartig klar: Dieser Clash von »High and Low«, das war mein Leben, mein Thema.
Mein Buch handelt von meiner Zeit als Journalist und von 40 bis 50 fast gleichaltrigen Frauen und Männern, die zuerst in Offenburg und dann ab 1983 in München die Illustrierte »Bunte« neu erfanden und vom Königs- und Märchenheft zum ersten deutschen People-Magazin umformten. In der Grossoauflage liegt »Bunte« heute gleichauf mit Publikationen wie »Der Spiegel« und »Stern« – hundertfach in Europa kopiert, aber doch einzigartig in ihrem Charakter.
1990 fand in New York eine wichtige Ausstellung statt: »High and Low«, die den Einfluss von Massenmedien und Advertising, von Plakat, Magazinen und TV auf die moderne Kunst dokumentierte.
Es wird oft behauptet, die große Zeit von Magazinen und Zeitschriften gehe zu Ende und das Internet setze sich als neues Leitmedium durch. Es lässt sich jedenfalls nicht übersehen: Wir stehen mitten in einer weltumstürzenden Veränderung, deren Bewältigung unsere ganze Energie erfordert. Mein Buch erinnert vor allem an eine Zeit, in der das Zeitschriftenmachen noch voller Abenteuer und Erfindungen war und in der es einen großen Spaß machte, mit einem von der ganzen Redaktion gemeinsam geteilten Lebensgefühl zu arbeiten. Darin mischte sich die Begeisterung für Elvis Presleys Song »Hound Dog« mit dem Schwärmen für den neuen, direkten Erzählstil der Nouvelle-Vague-Filme. Wie es dazu kam?
1 Storytelling
Um 1740, also 50 Jahre vor der Entstehung der Massenpresse in London, malte Christian Wilhelm Ernst Dietrich, genannt Dietricy, dieses Bild eines Moritaten-Erzählers. In der Tradition der holländischen Maler wie van Ostade ist der Bänkelsänger dargestellt, der Zeigestock Bild für Bild durchgeht, um seine Geschichten dazu zu erzählen.
In einem klugen Buch über Gärten kommt der amerikanische Romanist Robert Harrison auf den Renaissance-Schriftsteller Giovanni Boccaccio und die Kunst des Erzählens zu sprechen:
»Die menschliche Kultur hat ihren Ursprung in Geschichten, und in ihrer fortlaufenden Historie werden ständig Geschichten erzählt. Wo wären wir ohne Geschichten? Ohne die Kunst des Erzählens? Ohne die narrative Organisation von Geschehnissen und die Strukturierung der Zeit, die sie vermittelt? In seinen förmlichen ebenso wie in seinen informellen Ausprägungen ist das Geschichtenerzählen eine der grundlegenden Formen menschlicher Interaktion. Das Gewebe des Lebens selbst wird in Geschichten hinein und durch sie gewoben, und dies in solchem Maße, dass die Qualität der menschlichen Konversation in erheblichem Umfang davon abhängt, wie weit wir die Kunst des Erzählens beherrschen.«
Diese Einsicht war mir nicht geläufig, als ich 1974 in der »Bunte«-Redaktion zu arbeiten begann. Ich wusste nur, dass es Menschen gibt, die gut schreiben können, aber schlechte Redner waren. Ich erinnere mich, einmal im Bundestagswahlkampf 1972 Rudolf Augstein in Bonn erlebt zu haben. Damals fragte ich mich: »Der kann so gut schreiben, wieso taugt er nicht als Redner?«
Beim Reden und Schreiben geht es um das Erzählen von Geschichten und, was die Zeitschriften
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