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Goettersterben

Titel: Goettersterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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V
    on der Höhe des Hügels herab betrachtet und im Licht der allmählich untergehenden Sonne, die das Meer in einen kupferfarbenen Spiegel verwandelte und die Konturen der Mauern und Türme aufzuweichen schien, bot die Stadt einen geradezu friedlichen Anblick. Über die große Entfernung hinweg war in den schmalen Straßen und verwinkelten Gässchen kein menschliches Leben zu erkennen, nicht einmal für seine scharfen Augen, und auch das weit offen stehende Stadttor schien leer, wie eine Einladung an jeden, hereinzukommen und eine Gastfreundschaft zu genießen, von der er doch nur zu gut wusste, dass es sie nicht gab; schon gar nicht für ihn. Wenn er genau hinsah, meinte er etwas wie einen flüchtigen Dunst wahrzunehmen, etwas wie Nebel, der über der Stadt hing und zu fein war, als dass sein Blick ihn tatsächlich erfassen konnte; ein Feengespinst, das dieser Stadt, so hässlich und wehrhaft sie in Wahrheit auch sein mochte, etwas Verlockendes verlieh. Sie schien nicht hierher zu gehören, weder in dieses Land noch in diese Zeit; ein Überbleibsel aus einer Epoche, in der nicht nur die Dinge, sondern auch die Menschen anders gewesen waren, und in der noch Frieden und Vertrauen das Leben bestimmt hatten.
Andrej wusste jedoch nur zu gut, wie falsch dieser Eindruck war. Und hätte er es nicht schon vorher gewusst, so hätte er es wohl spätestens zugeben müssen, als er seinen Blick – mit einiger Mühe – von den pittoresken Dächern und Zinnen der Stadt löste und über das dahinterliegende Meer schweifen ließ.
Es war schwarz von Schiffen.
Er hatte versucht, sie zu zählen, war aber irgendwo zwischen hundert und hundertfünfzig durcheinandergeraten (und somit noch weit von ihrer wahren Anzahl entfernt) und hatte es beim zweiten, ebenfalls misslungenen Versuch aufgegeben. Eines jedoch war ihm klar: Mit einer einzigen Ausnahme, die lange zurücklag und ihn nur noch manchmal in seinen schlimmsten und schwärzesten Träume heimsuchte, war dies die größte Flotte, die er jemals zu Gesicht bekommen hatte. Und was er jetzt vor sich sah, das war nur ein kleiner Teil der gewaltigen Armee, die zum Krieg rüstete.
»Wenn wir die Stadt noch vor der Dämmerung erreichen wollen, sollten wir aufbrechen«, sagte Abu Dun neben ihm. Andrej wandte sich im Sattel um, biss die Zähne zusammen, um einen Schmerzenslaut zu unterdrücken, und warf ihm einen fragenden Blick aus seinem gesunden Auge zu. Das andere tränte so stark, dass er die hünenhafte Gestalt des Nubiers nur schemenhaft wahrnahm, und seine verletzte Schulter bereitete ihm immer noch starke Schmerzen.
»Es ist natürlich Eure Entscheidung, Sahib«, fuhr Abu Dun, der seinen Blick wohl falsch gedeutet hatte, fort und verzog spöttisch die Lippen. »Aber ich vermute, dass sie die Tore mit Einbruch der Dämmerung schließen. Und ich für meinen Teil würde gerne einmal wieder in einem richtigen Bett übernachten. Ganz davon zu schweigen«, fügte er nach einer winzigen Pause hinzu, »dass du ebenfalls aussiehst, als täte dir ein Bett gut.«
Andrej wollte mit der Hand nach seinem verletzten Auge tasten, hielt dann aber inne. »Du hast recht«, sagte er, wandte sich mühsam wieder im Sattel nach vorne, machte aber dennoch keine Anstalten, Abu Duns Aufforderung nachzukommen. Sein Pferd begann, unruhig mit den Vorderhufen im Boden zu scharren. Nach Tagen, in denen sie jeder menschlichen Ansiedlung und Nähe sorgsam ausgewichen und sich stets in den Wäldern gehalten hatten, witterte das Tier nun die Nähe eines Stalls und sehnte sich wohl ebenso sehr nach frischem Heu und einem warmen Verschlag für die Nacht, wie Abu Dun nach einem Bett und einer Mahlzeit, die nicht nur aus einer Handvoll Beeren und einem halb verhungerten Kaninchen bestand. Andrej erging es nicht anders. Dennoch zog er sachte an den Zügeln, um das Tier zu beruhigen, und sah noch einmal lange und nachdenklich auf die weiß getünchten Mauern und die mit Kanonenläufen gespickten Zinnen Cádizs hinab. Nun konnte er dort unten doch Bewegung ausmachen, wenn sich ein Lichtstrahl auf poliertem Metall, das zu den Rüstungen und Helmen der Soldaten gehörte, brach. Gerade, als er sich wieder an den Nubier wenden wollte, tauchte ein Trupp von gut hundert bewaffneten Reitern aus dem Wald zu ihren Füßen auf und näherte sich in scharfem Galopp der Stadt.
Abu Dun räusperte sich ebenso laut wie nachdrücklich, und Andrej wurde erst jetzt klar, dass abermals Minuten verstrichen waren, in denen er einfach dagesessen

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