Die Chance seines Lebens
CD-Player und übergab Carlos den Karton.
Carlos öffnete ihn und betrachtete das Gerät. „Einen Zehner“, bot er.
„Das ist zu wenig“, widersprach Thomas. „Nico frisst uns, wenn wir nur mit einem Zehner auftauchen.“
„Na gut, fünfzehn, mehr ist nicht drin. Ihr könnt das Gerät sonst gern wieder mitnehmen.“
Thomas schüttelte den Kopf. Er wusste, wenn Nico Hunger hatte, war nicht mit ihm zu spaßen. „In Ordnung!“ Er nahm die Kohle und marschierte mit Deniz in die nächste Pommesbude. Läppische fünfzehn Euro, da bekam er nicht viel, eine Runde Currywurst mit Pommes. Sie nahmen das Essen und beeilten sich, zu Nico zu kommen.
Der erwartete sie schon. „Bo jeh! Wo wart ihr Loser nur so lange? Bin schon verhungert euretwegen“, maulte er herum. Seine Zigarette glühte noch im Aschenbecher.
Thomas öffnete das Papier und verteilte die Portionen.
Nico schaute zu Thomas und fragte ihn: „Soll das ein Witz sein? Davon soll ich satt werden?“
Thomas stammelte: „Wir haben nur fünfzehn bekommen.“
„Ihr Idioten habt euch übers Ohr hauen lassen!“, brüllte Nico. „Ihr seid so dumme Loser. Muss man hier alles selber machen? Noch nicht einmal allein losschicken kann man euch. Dummheit muss bestraft werden! Gebt mir eure Portionen, ihr bekommt nichts!“ Nico saß auf seinem Stuhl und genoss laut schmatzend Currywurst und Pommes.
Thomas und Deniz hockten hungrig daneben und mussten mit ansehen, wie Nico auch ihre Portionen verschlang.
Franko grinste schmatzend.
Romina wohnte mit ihrer Familie in einer heruntergekommenen Altbausiedlung im Stadtteil Duisburg-Hochfeld. Farbe hatten diese Häuser schon lange keine mehr gesehen, alles war grau und trostlos. Die Haustüren konnten nicht mehr verschlossen werden, und die Treppenstufen im Haus waren ausgetreten und löchrig. Auf den Wegen türmte sich der Sperrmüll und an den Mülltonnen der Unrat. Verrostete und in Einzelteilen verfallene Autos standen auf der Straße. Die Spielplätze konnten nicht genutzt werden, denn Spritzen und Unrat lagen verteilt herum. Unter den Bänken sammelten sich leere Schnapsflaschen. Ratten waren hier keine Seltenheit. Nachts ging hier keiner freiwillig auf die Straße, denn Banden zogen um die Häuser. Die Häuser wurden vorwiegend von Aussiedlern aus den Ostblockstaaten bewohnt, die sich keine andere Bleibe leisten konnten.
Romina war dennoch dankbar für diese feste Unterkunft, geschützt vor den Unbilden des Wetters. Lange Zeit war sie mit ihrer Familie durch die Gegend gezogen. Ein Zelt, aufgeschlagen an einem Bach, diente als Unterkunft. Nicht überall konnten sie bleiben und wurden von der Polizei oder den Einwohnern vertrieben. Ihre Familie war froh über diese Bleibe, wie so viele andere Leute auch, die in dieser Siedlung wohnten. Rominas größter Wunsch war ein eigenes Zimmer, sie musste sich eins mit ihrer Großmutter und ihrem kleinen Bruder teilen.
Ihre Großmutter hatte das Mittagessen schon fertig, und der Topf stand auf dem Tisch. Die Familie hatte Romina bereits erwartet, und so konnten alle gemeinsam essen. Das Tischgebet wurde gesprochen, danach langten alle zu. Das Essen verlief nicht ruhig, alle redeten durcheinander. Einzig Romina war ruhig. Ihre Gedanken kreisten um Nico und seine Schmähreden von vorhin. Aber Yasmina hatte recht, es lohnte sich nicht, sich darüber aufzuregen. Alle dachten hier so. Sie gehörte zur Gruppe der Roma und lebte in einer Gemeinschaft mit anderen Familien. Alles wurde innerhalb der Gruppe geregelt, der ein Ältester vorstand. Ihr Glaube war nicht anders, als der anderen Menschen in Deutschland. Wie die Meisten wurde sie katholisch erzogen. Und doch gehörte sie zu einer Minderheit und wurde wie eine Ausgestoßene behandelt.
Romina war so in ihre Gedankenwelt versunken, dass sie gar nicht merkte, wie die Mahlzeit beendet wurde. Ihre Großmutter sprach sie an, Romina reagierte nicht. Erst als eine Hand sie berührte, schreckte sie auf.
Ihre Großmutter lächelte sie an: „Wovon träumst du? Du hast noch nicht gegessen, und wir sind schon alle fertig.“ „Entschuldige, ich war wirklich in Gedanken“, Romina nickte schuldbewusst. Schnell leerte sie ihren Teller, um ihrer Großmutter zu helfen.
Nico zog indessen mit seinen Freunden lärmend durch die Gassen. Sie waren auf dem Weg nach Hause und pöbelten die Leute auf der Straße an. Obszöne Gesten und Schimpfwörter waren an der Tagesordnung. Keiner wagte, Widerstand zu leisten. Schon allein
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