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Die Chancellor

Die Chancellor

Titel: Die Chancellor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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hat. Ich bin es, ich bin es, den ihr er-
    würgen müßt!«
    Der Unglückliche!
    Seine Worte steigern nur die Wut der Henker, und
    Daoulas geht auf ihn zu und entreißt ihn den Armen
    von Mr. Letourneur mit den Worten:
    »Nicht so viel Umstände!«
    — 308 —
    André stürzt rückwärts nieder, und zwei Matrosen
    fesseln ihn, so daß ihm jede Bewegung geraubt ist.
    Zur gleichen Zeit ergreifen Burke und Flaypol ihr
    Opfer und zerren es nach dem Vorderteil des Floßes.
    Dieser schreckliche Auftritt vollzog sich schneller, als
    ich ihn zu beschreiben imstande bin. Das Entsetzen hält
    mich wie angenagelt zurück. Ich möchte mich zwischen
    Mr. Letourneur und seine Henker stürzen, ich kann es
    nicht!
    Da hat sich Mr. Letourneur erhoben und die Matro-
    sen, die ihm schon einen Teil seiner Kleidung von den
    Schultern gerissen haben, zurückgestoßen.
    »Nur einen Augenblick«, sagt er mit einer Stimme
    voll unerschütterter Energie, »einen Augenblick! Ich
    habe nicht die Absicht, jemandem die ihm zukommende
    Ration zu entziehen! Doch ich denke, ihr würdet mich
    heute doch nicht ganz und gar aufzehren können!«
    Die Matrosen halten ein und sehen und hören er-
    staunt auf ihn.
    Mr. Letourneur fährt fort:
    »Ihr seid zehn. Sollten euch meine Arme nicht für
    heute genug sein? Schneidet sie ab und morgen erhaltet
    ihr das Übrige!«
    Letourneur streckt seine beiden nackten Arme vor.
    »Einverstanden!« ruft mit schrecklicher Stimme der
    Zimmermann Daoulas.
    Und schnell wie der Blitz erhebt er die Axt . . .
    — 309 —
    Robert Kurtis hat es nicht mehr mit ansehen kön-
    nen.
    Ich auch nicht! Solange wir leben, darf dieser Mord
    nicht ausgeführt werden. Der Kapitän stürzt sich unter
    die entmenschten Henker, ihnen ihr Opfer zu entreißen,
    ich werfe mich in den Tumult . . . Aber kaum komme ich
    hinzu, da werde ich von einem der Matrosen mit aller
    Gewalt zurückgestoßen und falle ins Meer . . .
    Ich schließe den Mund. Ich will an Erstickung ster-
    ben, aber die Atemnot überwindet meinen Willen;
    meine Lippen öffnen sich, und einige Schlucke Wasser
    dringen in meine Kehle . . .!
    O du ewiger Gott! Das Wasser ist süß!
    56
    Fortsetzung 27. Januar. – Ich habe getrunken! Ich habe
    getrunken! Ich bin neu geboren! Das Leben zieht wie-
    der in mich ein! Ich will nicht mehr sterben!
    Ich schreie und werde gehört. Kurtis erscheint über
    der Schanzkleidung und wirft mir ein Tau zu, das meine
    Hand erfaßt. Ich klettere an Bord und breche auf der
    Plattform zusammen.
    »Süßwasser! Trinkwasser!« sind meine ersten Worte.
    »Süßwasser?« ruft Robert Kurtis, »meine Freunde,
    das rettende Land ist da!«
    Noch ist es Zeit! Der Mord ist noch nicht vollbracht!
    — 310 —
    Das Opfer noch nicht geschlachtet! Robert Kurtis und
    André hatten gegen die Kannibalen gekämpft, und ge-
    rade als sie dem Unterliegen nahe waren, sind meine
    Rufe zu ihnen gedrungen.
    Der Kampf schweigt. Ich rufe nochmals die Worte:
    »Süßwasser! Trinkwasser!« neige mich über den Rand
    des Floßes und trinke, ja, ich trinke mit langen, wohltä-
    tigen Zügen!
    Miss Herbey folgt zuerst meinem Beispiel. Robert
    Kurtis, Falsten, alle Übrigen stürzen sich nun auf die
    neuerschlossene Lebensquelle; jeder kühlt sein bren-
    nendes Verlangen. Die wilden Tiere der letzten Minu-
    ten strecken die Arme gen Himmel, und einige Matro-
    sen bekreuzen sich, da sie ein Wunder vor sich zu haben
    glauben. Alle knien am Bordrand nieder und trinken
    mit wahrhaft wollüstigem Entzücken. Der Ausbruch der
    Freude folgt dem der Wut!
    André und sein Vater sind die letzten, die dem allge-
    meinen Beispiel folgen.
    »Doch wo, wo sind wir?« habe ich laut gefragt.
    »Da!« antwortet Robert Kurtis und weist mit der
    Hand nach Westen.
    Man sieht ihn verwundert an. Ist jetzt der Kapitän
    auch toll geworden? Es ist keine Küste in Sicht, und das
    Floß nimmt noch immer den Mittelpunkt der Wasser-
    scheibe ein.
    Und doch, das Wasser ist ja süß. Seit wann? Einer-

    — 311 —
    — 312 —
    lei; jetzt haben die Sinne uns nicht betrogen und unser
    Durst ist gelöscht.
    »Jawohl«, fährt der Kapitän fort, »noch ist das Land
    unsichtbar, doch wir haben es weniger als 20 Meilen un-
    ter dem Wind.«
    »Welches Land?« fragt der Hochbootsmann.
    »Das amerikanische Festland, und zwar denjenigen
    Teil, an dem der Amazonas mündet, denn dieser Strom
    allein wälzt seine Fluten mit solcher Gewalt ins Meer,
    daß er imstande ist, bis auf 20 Meilen dessen Salzwasser
    zu

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