Die Chronik der Unsterblichen 13 - Der Machdi
nicht ganz leicht unterzutauchen.
Schließlich hatten sie ein Zimmer in einem Viertel gefunden, in dem man es gewohnt war, keine Fragen zu stellen und weg-, statt hinzusehen, solange nur genügend Münzen über den Tisch wanderten, und eine Arbeit am Hafen. Abu Dun machte dieses Leben anscheinend nichts aus – mit typisch arabischem Fatalismus nahm er alles, wie es kam, und versuchte das Beste daraus zu machen -aber Andrej empfand allmählich eine vage Empörung dem Schicksal gegenüber. Sie waren Unsterbliche, zehnmal so stark wie ein normaler Mensch und ungleich erfahrener. Sie hatten die Macht von Göttern und sollten wie solche leben und nicht wie Verbrecher, die sich in der Nacht verkrochen und die Nähe aufrechter Menschen flohen.
Viele ihrer Art hatten genau diesen Weg eingeschlagen. Die Welt wimmelte von Herrschern, Despoten oder selbst ernannten Göttern, hinter deren menschlicher Fassade sich etwas vollkommen anderes und Erschreckendes verbarg. Viele hatten einen hohen Preis dafür bezahlt, und noch sehr viel mehr ließen andere einen ungleich höheren Preis dafür zahlen. Und einige wenige … nun ja, lebten anders. So wie sie. Kein angenehmes Leben, aber eines, das sie sich selbst ausgesucht hatten.
Dennoch war er es manchmal leid, unter Verbrechern und Ausgestoßenen zu leben und sich ständig wie ein gejagtes Tier zu fühlen, das hinter jedem Schatten einen Verfolger und hinter jeder dunklen Tür eine Falle vermutete.
Da schien es ihm, als wäre der einzige Lichtblick seit ihrer Ankunft hier in Konstantinopel ein von schwarzen Haaren umrahmtes schmales Mädchengesicht mit dunklen Augen gewesen, doch nach nunmehr vier Tagen glaubte er nicht, dass er das Mädchen mit dem so unpassenden Namen -Murida bedeutete Maus- wie dersehen würde. Und vermutlich war das auch gut so. Doch noch besser wäre es gewesen, wenn sie gar nicht erst in diese Stadt gekommen wären.
»Kat«, sagte Abu Dun, während ersieh mit seinem ganzen Gewicht auf den Schemel auf der anderen Seite des schmalen Tisches fallen ließ, was dem bedauernswerten Möbelstück nicht nur ein bedrohliches Ächzen entlockte, sondern auch Andrej abrupt aus seinen ohnehin sinnlosen Grübeleien riss. Er sah auf und blickte den Nubier einen Moment lang verständnislos an.
»Kat?«
»Kat«, wiederholte Abu Dun, vielleicht etwas zu laut, denn einige der anderen Gäste unterbrachen ihre Gespräche und sahen in ihre Richtung – mehr als nur einer deutlich missbilligend, wie Andrej fand. Ergriff unter seinen Mantel und förderte ein kleines Leinensäckchen zutage, aus dem er eine Handvoll zartgrüner Blätter auf den Tisch schüttelte. »Angeblich haben die Perser seine Wirkung entdeckt, und das schon vor Jahrhunderten, auch wenn ich es bezweifle, denn ich habe noch nie etwas davon gehört. Aber seit einer Weile bekommst du es überall, auch hier in Konstantinopel.«
»Und?«, fragte Andrej.
Abu Dun steckte eines der Blätter in den Mund und begann darauf zu kauen. »Es schmeckt scheußlich«, schmatzte er, »aber es betäubt auch Zunge und Rachen, und wenn du genug davon kaust, lässt es dich den Hunger vergessen.«
»Interessant«, sagte Andrej in einem Ton, der das Gegenteil auszudrücken schien. Abu Dun nahm sich ein zweites Blatt und fuhr unerschütterlich fort: »Und wenn du noch mehr kaust, dann betäubt es jeden Schmerz und macht dich schneller und stärker. Man sagt, die Anhänger des Machdi kauen es, und es verleihe ihnen übermenschliche Kräfte, solange es nur von ihrem Propheten persönlich gesegnet worden ist.« Endlich verstand Andrej, worauf er hinauswollte. Drogen vermochten Menschen zu unglaublichen Leistungen zu bringen, aber ihm war keine einzige bekannt, die nicht einen zu hohen Preis dafür verlangte – und meist viel zu schnell. Nach einem Moment schüttelte er den Kopf. »Das waren keine Süchtigen.«
»Aber sie haben gekämpft wie Besessene«, antwortete Abu Dun und nahm sich ein drittes Blatt. »Man sagt, dass es das Kat ist, das den Anhängern des Machdi übermenschliche Kraft verleiht.«
Andrej wollte antworten, doch der Wirt trat an ihren Tisch und brachte unaufgefordert einen Becher mit warmer vergorener Kamelmilch, eine Spezialität dieses Hauses, die Andrej ausgesprochen widerwärtig fand, sich aber rasch zu Abu Duns Lieblingsgetränk entwickelt hatte -zumal es hier kein Bier gab. Der Mann rammte den Becher jedoch mit solcher Kraft auf den Tisch, dass es spritzte, und funkelte Abu Dun zornig an.
»Ich will dieses
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