Die Datenfresser
die neue digitale Welt angepaßt werden müßten, fielen allzuoft unter den Tisch. Innenminister der vergangenen Legislaturperioden waren schlicht auf dem Datenschutzauge blind.
Doch die Verbesserung der gesetzlichen Situation hinsichtlich genauer Menschenprofile darf eben nicht nur in Karlsruhe angemahnt werden, sie sollte ebenso von Verbänden, Parteien, NGO s und am Ende von den einzelnen Menschen verlangt werden. Persönlichkeitsprofilierung hinsichtlich sehr privater Informationen gänzlich zu verbieten darf kein Tabu mehr sein, auch wenn die Lobbygruppen privater Datenhändler jammern. Die teils unverhohlenen Drohungen der wehklagenden Datensammler, Arbeitsplätze ins Ausland zu verschieben, sind dabei nur der Hinweis an den Gesetzgeber, auch auf internationale Vereinbarungen zu dringen. Schließlich hat Deutschland als Vorreiter in Sachen Datenschutz einen Ruf zu verlieren.
Einer der vielen Vorschläge ist die fundamentale Umkehrung des heute üblichen Prinzips, daß sich derjenige, dessen Daten gesammelt und verarbeitet werden, aktiv dagegen wehren muß, wenn er es nicht möchte. Angesichts der anschwellenden Datenströme und der zur Angewohnheit gewordenen Haltung in weiten Teilen der Wirtschaft, Daten könnten immer und überall als eine Art Zweitwährung verwendet werden, muß das Paradigma fallen, daß man den Datengeber nicht vorher fragen muß.
Nötig ist eine unaufgeforderte Benachrichtigung der Betroffenen durch die Datenspeicherer und -verarbeiter darüber, was mit ihren Daten geschieht und – falls nötig – an wen sie weitergegeben wurden. Mindestens einmal im Jahr sollen also die Datensammler von sich aus die Datengeber informieren, daß Daten über sie vorhanden sind. Diese können dann die Details der gespeicherten Informationen anfordern und ihre Löschung oder Veränderung verlangen. Natürlich entstehen dadurch bei den Unternehmen und Behörden Kosten. Aber gerade das ist das Ziel: Eine aktive Mitteilungspflicht für Datenfresser ist einer der wenigen denkbaren Wege, um die Profitabilität der Speicherung und Ausbeutung von Datenbeständen zu senken und damit auf das wirklich Notwendige zu reduzieren. Es ist eine Incentivierung, nicht mehr benötigte Datensätze zu löschen.
Aber auch dem Datenmißbrauch muß durch gesetzliche Regulierung besser Einhalt geboten werden. Die lange Reihe der Datenpannen, die in den letzten Jahren bekannt wurde, kann nur ein Ende finden, wenn die Verantwortung klar geregelt wird. Solange nur Bauernopfer oder gar niemand für Datenverfehlungen wie illegalem Weiterverkauf oder mißbräuchliche Verwendung haftbar gemacht werden, wird es keinen ausreichenden Anreiz für Firmen geben, ihre Datenschätze besser abzusichern. Abhilfe kann hier eine persönliche Verantwortung der Geschäftsführung schaffen, wie sie in anderen Rechtsgebieten wie dem Umweltschutz oder der Exportkontrolle vorgesehen sind. Es muß den Verantwortlichen klarwerden, daß sie sich nicht hinter ihrer Firma verstecken können, die dann eventuelle, eher symbolische Strafen aus der Portokasse zahlt.
Die Zukunft ist ungeschrieben
Es ist der Schutz seiner Privatsphäre, der den Menschen vor dem Druck des Konformismus bewahrt, schrieb der Jurist Edward Bloustein schon 1964. Wenn es normal wird, daß jeder jederzeit die Details seines Lebens, seinen Aufenthaltsort und seine intimsten Gedanken in die Welt posaunt, wird es plötzlich auffällig, das nicht zu tun. Von einem derartigen Zustand sind wir als Gesellschaft noch eine Weile entfernt. Dennoch scheint er in Zukunft nicht unrealistisch oder technologisch unmöglich zu sein.
Einzig die Entwicklung der sozialen Normen, der Erwartungen und Bedürfnisse wird bestimmen, ob die liebgewonnene digitale Freiheit zu einem virtuellen Dorf mutiert – inklusive Klatsch und Tratsch und sozialer Verurteilung wegen vermeintlicher Übertretungen von Normen und Regeln sowie einem überaktiven Dorfsheriff. Überwacht und datentransparent sein ist so ähnlich wie Radioaktivität – meist nicht wahrnehmbar, aber mit ungewissen Spätfolgen, die nicht zwingend eintreten, aber durchaus gravierend sein können. Menschen, die gern datenexhibitionistisch leben wollen, sollte es natürlich weiterhin freistehen, ihren Überzeugungen zu folgen. Sie sollten jedoch Abstand davon nehmen, ihren Mitbürgern ihre Ideologie aufzuzwingen oder sie zwangszuverdaten.
Die Macht, die wir Staat, Unternehmen und anderen mit Informationen über uns selbst geben, kann groß sein.
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