Die Delegation
ermutigend. Ich las ihn und hatte sofort Beschwerden: Höhenkoller.
Alle Maschinen waren ausgebucht. Ich wußte, hier komme ich die nächsten drei Tage nicht weg. Eingesperrt. Ich schnappte nach Luft.
Greise Amerikaner schlichen offensichtlich beschwerdelos durch die Stadt und hakten auf ihrer Liste die Sehenswürdigkeiten ab.
Ich schluckte Tabletten, nahm ein Taxi und fuhr los.
›Sacsayhuaman.‹ Die Zyklopenstadt hoch über Cuzco. Also noch höher! Die Sonne stand senkrecht über uns. Die Amerikaner machten Drehpause. Um diese Zeit zu filmen, gilt als kriminell, denn bei solchem Licht blickt jeder aus dunkel-verschatteten Eulenaugen in die gleißende Landschaft. Gianfranco Annichini war da, tatsächlich. Wir setzten uns auf die gewaltigen Mauern aus tonnenschweren, nahtlos zusammengefügten Blöcken und versuchten, uns zu verständigen. Schwierig. Annichini war Italiener und sein Englisch so schlecht wie mein Französisch. Dafür sprach er fließend Spanisch und das Ketschua der Indios. Tut mir leid.
Aber dann entdeckten wir durch Zufall eine Verständigungsmöglichkeit: Schwedisch. Er war in Schweden gewesen. Ich auch. Als Schüler. Annichini erinnerte sich an Roczinski, sogar ziemlich gut. Er hatte noch fünfzig Dollar von ihm zu bekommen. Ich war bereit, das zu erledigen. Er quittierte mir den Betrag auf einer leeren Zigarettenpackung. Unter uns lag Cuzco, das letzte Refugium des Inkareiches. Christliche Kathedralen erhoben sich auf dem Schutt einer großen Kultur. Pizarros Werk im Namen der spanischen Majestäten – und im Namen des gekreuzigten Gottes. »Wo liegt ›El Salvador‹?«
Annichini versuchte eine vage Beschreibung und malte eine Skizze in den Sand. Im Hotel, meinte er, habe er einen Stadtplan, ›Lima und Umgebung‹, vielleicht finden wir’s da … Und der Film? Was geschah mit dem Film, den er aufgenommen hat, dort, in El Salvador? Der Film mit Professor Estrella? Annichini wußte es nicht. Er hat nur gedreht und die Kamera zurückgegeben. Er hat das Material nicht ausgelegt, die Rolle also nicht herausgenommen, aus dem Apparat. Wenn Roczinski sie nicht bei sich hatte, damals, bei seinem tödlichen Unfall, wenn sie nicht in dieser alten Tasche zu finden war, die der Schrotthändler Wingard uns verkauft hatte – vielleicht war sie dann immer noch in ihrer Kassette, in der Kamera?
Annichini hatte recht. Drei Tage später, wieder in Lima, fanden wir die Rolle. Sie steckte tatsächlich noch in dieser alten Kamera, die ein ganzes Jahr mehr oder weniger unbeachtet beim Portier dieses drittklassigen Hotels unter dem Schreibtisch gelegen hatte.
Sie war nicht einmal bis zu Ende belichtet; irgendwann, nach etwa sechs Minuten, war abgeschaltet worden. Wir drehten sie durch und brachten sie zur Entwicklung in ein Farblabor: Am nächsten Morgen hatten wir wieder einige Steine für unser Mosaik.
Roczinskis Aufzeichnungen über seine letzten zwei Tage in Lima, Tonbänder mit unverständlichem Gestammel, erhielten plötzlich einen Sinn.
77
Die zwölfte Rolle:
Ein Indio in brauner Mönchskutte winkt. Roczinski sieht sich um. Dann geht er weiter. Die Kamera folgt. Ein langer Gang zwischen hohen Mauern. Gebrochene Farben, Gelb und Blau. Eine hohe, verwitterte Eichentür. Dahinter ein Innenhof, dunkel, weiträumig, viele Säulen, eine Gruppe Mönche, Blick in ein Kirchenschiff.
Der Weg führt daran vorbei, führt weiter zu einer Art Kreuzgang. An den Wänden bunte Glasuren, Majolika. Eingeschlossen von diesem weitläufigen Viereck: ein Garten. Üppige, tropische Vegetation. Ein Brunnen. Bänke. Wege. Ein Schwarm Tauben fliegt auf, verschwindet über dem Dach. Gedämpft, fremd, wie aus einer anderen Welt, dringt Musik in diesen kleinen Park. Ein Chor übt immer die gleichen melodischen Kadenzen.
Eine Glocke schlägt an, zwei silberhelle Schläge der Uhr: halb zwölf. Sie zerhackt Gottes Ewigkeit in kleine Portionen zu je fünfzehn Minuten.
Nur wenige Menschen wandern durch diesen Park, sitzen herum, stehen am Brunnen, schweigen. Einer sammelt abgefallene Blüten in einen Korb. Große, rote Kelche – schlaff und tot.
Ein Paradies – hinter Gittern. Gitter zwischen den Säulen. Gitter bis über das Dach.
Eine Tür wird aufgeschlossen. Roczinski legt sein Tonbandgerät, sein Mikrofon auf die niedere Brüstung, richtet es nach innen. Auch die Kamera bleibt außerhalb. Das Tor schließt sich hinter ihm. Am Brunnen ein Mann, schmales, asketisches Gesicht, blaß, ein heller Strohhut, helles
Weitere Kostenlose Bücher