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Die Delegation

Die Delegation

Titel: Die Delegation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Erler
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Gewitter.« Ein Gewitter aus heiterem Himmel?
    Über das Wetter zur Stunde des Unglücks wußte der Major nichts.
    Wir wußten es, wir hatten das Filmmaterial gesehen: stahlblauer Himmel, winzige Stratozirren. Nur der Horizont im Westen war zerrissen und rot.
    »Ja, eine tragische Geschichte!« Der Major fuhr sich über die schwitzende Stirn, lockerte den Knoten am Hals. »Wir flogen also runter nach Süden. Aber in Nazca stand die Sportmaschine friedlich auf der Piste, inmitten von Neugierigen. Auch die Polizei stand dabei.
    Wir landeten, sprachen mit den Leuten. Einer wußte etwas von einem Jeep. Wir fanden den Besitzer. Der war schon bei der Polizei gewesen. Dann fing die Suche an.
     
    Aus tausend Meter Höhe hat man einen guten Überblick. Ein Jeep macht deutliche Spuren in der Pampa – hin und zurück. Wir flogen über die Barriere zur westlichen Ebene. Da liegt ganz am Ende ein seltsames Plateau. An den Hängen sind Figuren eingegraben, die sieht man nicht von unten, aber wir Flieger kennen sie. Das sind riesige Zeichnungen großköpfiger Gestalten, wir nennen sie ›die Eulenmenschen‹. Da führt kein Weg mehr hin, keine Straße. Deshalb war die Bergung der Leichen sehr mühsam und zeitraubend.«
    »Eine Frage, Herr Major, haben Sie oben auf dem Plateau dunkle, runde Flächen bemerkt, drei Kreise, Durchmesser dreißig Meter, wie … wie verbrannt …?« Der Major sah mich etwas entgeistert an. »Kreise? – Nein. Keine Kreise. Geometrische Figuren schon, Dreiecke, helle Flächen mit sternförmigen Linien, fast so wie unten in der Pampa Colorada.«
    »Aber keine Kreise?«
    »Keine Kreise, nein!«
    Der Major bedauerte, daß heute Feiertag war, wir hätten sonst hinfliegen können. In vier, fünf Stunden ist man wieder zurück. Die Stunde zu zwanzig Dollar. Wirklich schade. Er habe gute Piloten und gute Maschinen. Zum Teufel mit diesem Feiertag. Aber übermorgen vielleicht.

 
73
 
    Wir flogen nicht nach Nazca – weder an diesem Tag noch ›übermorgen‹.
    Wir waren ja gestern erst von dort zurückgekehrt, hierher nach Lima.
    Zwischen den ausgewaschenen, bleichen, lehmigen Bergen über der Stadt gab es grüne Oasen – allerdings nicht für jedermann. Hohe Mauern mit Stacheldraht, ein Blockhaus mit Schlagbaum, drei bewaffnete Pförtner im Sheriff-Look. Wir wiesen uns aus, der Taxifahrer nannte eine Referenz, der Schlagbaum ging hoch. Ein Club.
    Die Thermik zwischen den hellen, gleißenden Berghängen sorgte für Sonne und blauen Himmel auch an den trüben Tagen. Ein künstlicher See, ein Wasserfall, Terrassen unter Palmen, Golfplatz, Park und Bungalows – und alles leer und verlassen. Nur einige vereinsamte Stewardessen interkontinentaler Linien langweilten sich am Swimming-pool. Denn Limas Jet-Set hatte heute andere Pflichten, folgte in Zentimeterschritten einem Heiligtum durch die brütende Hitze der Stadt.
     
    Zwei Tage später hatten wir einen Termin bei der Staatspolizei.
    Die waren damals, am 8. November, bei Roczinski erschienen. Der wohnte in einem kleinen, schmuddeligen Hotel in der Altstadt. Der Portier führte die Uniformierten hinauf in den zweiten Stock und blieb dabei, in der offenen Tür, unbeachtet, stumm.
    Für einen Dollar erinnerte er sich noch deutlich daran: Die Polizei hatte Roczinski gebeten, das Land vorläufig nicht zu verlassen, es würde ermittelt. Der Tod der beiden Ausländer und Roczinskis Flucht erschienen den Behörden suspekt. Man nahm ihm den Paß ab – nur für einige Tage. Eine Formalität. Aber am nächsten Tag war Roczinski verschwunden. Ohne zu zahlen – mit seinem ganzen Gepäck. Nur die Kamera hatte er zurückgelassen. Wir lösten sie aus.
    Reporter pflegen mit zwei Pässen zu reisen – für alle Fälle. Nicht nur wegen der Visa für Kairo und Tel Aviv. Ein Verdacht?
    Da sterben zwei Menschen – und ein dritter flieht. Entzieht sich der Untersuchung, dem Zugriff der Polizei. Am 16. Oktober schrieb Roczinski in sein Tagebuch: »Wenn die Dinge so liegen, wie es scheint, dann wird es die Reportage meines Lebens. Irgendwann muß man eben über Leichen gehen …«
    Eine Floskel? Geht ein Roczinski wirklich über Leichen? Wenn er eine Wahrheit verkaufen will, die es vielleicht nicht gibt? Ist das Filmmaterial sein Alibi? Ist es manipuliert? Inszeniert? Ein Trick?
    Ein Verbrechen?
    Nein, hieß es bei der Staatspolizei. Die Sache ist erledigt, kein Verdacht mehr, der Fall sei abgeschlossen.
    Man hatte keine Lust, mit uns zu diskutieren. Es war auch schon zu lange her,

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