Die Delegation
Mainz. Händeschütteln.
Roczinski hat sich mit Kamera und Mikrofon auf der anderen Straßenseite aufgebaut.
»So weit, so schön! Solche Geschichten machen natürlich die Runde und heizen die Phantasie an. Bald spukt es nicht nur am Himmel, sondern auch in den Köpfen mancher Zeitgenossen. In Argentinien sollen die ›fliegenden Untertassen‹, um diesen Spuk wieder einmal beim Namen zu nennen, in letzter Zeit derartig häufig aufgetreten sein, daß man täglich mit einer Invasion der Extraterristen, der Außerirdischen, der Besucher aus dem All, rechnet.« Roczinski blättert argentinische Zeitungen auf: Fotos einer gaffenden Menge. Hoch oben am Himmel schwebt eine glänzende, diskusähnliche Scheibe.
»Die Zeitungen dort sind voll von sensationellen Berichten. Die kosmischen Zwerge oder die unvorstellbaren Supermänner vom anderen Stern – über die Größe dieser Wesen konnten sich die verläßlichen ›Augenzeugen‹ noch nicht recht einigen – verwirren nicht nur Radarexperten und Militärs, sondern auch Hausfrauen, Verkehrspolizisten und Farmer. Und dann entschweben sie wieder mit ihren Raumschiffen, leider stets, bevor es unser einem gelingt, sie vor Kamera und Mikrofon zubringen.
Figuren einer Comic-Strip-Serie, abstruse Ausgeburten der Phantasie, die nun ausgezogen sind, den braven Bürger das Gruseln zu lehren.«
Die Tür des Vorführraumes öffnete sich. Ein mir unbekannter Mann trat in den schwach erleuchteten Raum.
6
Er winkte mir kurz zu und nahm zwei Reihen weiter hinten Platz.
Szenenwechsel auf dem Monitor:
Foyer der Kongreßhalle. Große Stellwände zerteilen den Raum.
Sie sind beklebt mit Zeitungsausschnitten, Plakaten und Fotos. Eine Bücherschau. Weit über hundert deutsche und englische Titel. Fliegende Untertassen auf Buchumschlägen und Zeitschriften.
Dichtes Gedränge, alle Altersgruppen scheinen vertreten zu sein, alle sozialen Schichten. Darüber liegt die Stimme Roczinskis:
»Die Hilfstruppen haben sich in Mainz versammelt, beim internationalen Weltkongreß der UFO-Forschem. UFOs, das sind unbekannte Flugobjekte. Achthundert Teilnehmer aus dreiundzwanzig Ländern tauschen nun ihre Erfahrungen mit den Weltraumbesuchern aus: Wissenschaftler, Journalisten, Okkultisten. Ihnen gemeinsam ist der feste Glaube an das Unwahrscheinliche.« Quer über die Bühne ein Spruch:
INTERNATIONALE VERSTÄNDIGUNG GLOBALER: UND UNIVERSALER FRIEDE INTERPLANETARISCHE FREUNDSCHAFT – KOSMISCHE KONFÖDERATION
Am mit zahlreichen Mikrofonen bestückten Rednerpult hängt ein blauer Wimpel mit Silberschrift: VERITAS VINCIT – ›Die Wahrheit siegt‹. Darunter DUIST – DEUTSCHE UFO-IFO-STUDIENGESELLSCHAFT.
Der erste Sprecher: Ruhig, seriös, randlose Brille. Künstlerkopf mit grauer Mähne. Ein Titel wird eingeblendet: KARL L. VEIT – PRÄSIDENT DER DUIST.
»Die Deutsche UFO-IFO-Studiengesellschaft dient der Allgemeinheit durch Beobachten, Fotografieren, Berichterstatten, Erforschung und Auswertung von realen Landungen und telepathischer, technisch erwiesener, radio- oder radarmäßig sowie menschlich direkter Annäherung und Freundschaftsbekundungen von Bewohnern anderer Planeten. Sie steht auf dem Boden christlich-geistiger Gotteserkenntnis, des Glaubens an die Wiederkunft Christi und dient dem Weltfrieden und der Völkerverständigung.« Beifall.
Der Unbekannte hinter mir räuspert sich, ein kurzes Lachen, dann mischt er sich ein, beugt sich vor:
»Passen Sie auf, jetzt kommt Oberth, Professor Oberth, der deutsche Raketenpionier, Lehrmeister von Wernher von Braun. Schlauer Fuchs, legt sich nicht fest.«
Titeleinblendung:
PROFESSOR HERMANN OBERTH Weiße Locken, baltischer Akzent.
Es ist nicht das erste Mal, daß mir dieser Nestor der Raketentechnik auf einem Fernsehschirm begegnet. Zum letztenmal hatte ich ihn gesehen, wie er im Studio die erste Mondlandung verfolgte.
»Ich bin kein Propagandist für eine, und sei es auch noch so nützliche Weltanschauung. Ich fühle mich einfach als Vorscher, der die Wahrheit ergründen möchte, der die Wahrscheinlichkeit der Annahmen gegeneinander abwägt, jederzeit kritisch und jederzeit bereit, dem abzuschwören, was er gestern noch geglaubt hat, wenn sich eine bessere Erklärung dafür finden sollte, und, um ein drastisches Wort Friedrich Hebbels zu gebrauchen: jederzeit bereit, den Holofernes von gestern dem Holofernes von morgen zu fressen zu geben. Unter anderen Voraussetzungen kann man die Wissenschaft nicht
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