Die zerbrochene Welt 01 - Die zerbrochene Welt
Gulloth
E r war auf die Insel seiner Vorväter geschickt worden, um ein Phantom zu jagen. Eine mordende Bestie, die niemand je richtig gesehen hatte. Nun lag der Beweis für ihre Existenz direkt vor ihm. Die Fährte des Ungeheuers funkelte wie Sternenstaub zwischen den Farnen und Kiefernnadeln im uralten Wald von Zeridia. Taramis sträubten sich die Nackenhaare.
Er ging in die Hocke. Mit den Fingerspitzen untersuchte er die riesigen Abdrücke. Vier Tatzen mit je sechs langen Klauen. Ein Wolfsdrache? Ihn schauderte. Er war nie einer dieser Kreaturen begegnet, von denen man sich Unglaubliches erzählte. Angeblich speicherten sie verschiedene Sekrete in ihrem Schädel, die sie bei Bedarf zusammenmischten, um aus den Nüstern Feuer zu speien.
Taramis schüttelte den Kopf. Sicher irrte er sich. Die vergleichsweise moderaten Temperaturen im zeridianischen Regenwald dürften den Grauechsen kaum behagen. Ihre Heimat waren die schwülheißen und subtropischen Inseln der Zentralregion. Außerdem hatte das Phantom Menschen als Beute gewählt, was doch eher auf einen Bären, Säbelzahnluchs, Tausendfüßigen Riesenblutegel oder eine andere einheimische Raubtierart schließen ließ. Das Blut des Volkes der Zeridianer gehörte zu den stärksten bekannten Giften. Die auf dem Archipel heimischen Raubtierarten waren zumeist dagegen unempfindlich, für Lebewesen aus anderen Regionen Beriths konnte dagegen schon ein Blutstropfen auf der Haut tödlich sein.
Doch was auch immer eine so tiefe Spur im Waldboden hinterlassen hatte, er durfte es auf keinen Fall unterschätzen. Taramis musste sich in Acht nehmen, damit sein erster Streifzug durch die Jagdgründe der Ahnen nicht zum letzten wurde.
Jede sich ihm bietende Deckung nutzend, folgte er den glitzernden Tupfen. Im Spurenlesen konnte ihm kaum jemand etwas vormachen. Sein besonderes Talent bestand darin, Fährten mittels Geisteskraft zu einem goldenen Funkeln anzuregen, eine seltene, ihm schon in die Wiege gelegte Gabe.
Und ebenso lang besaß er den Stab Ez, den er immer und überall mit sich trug. Er schien nicht von dieser Welt zu sein: Ez war schwarz wie Ebenholz, sieben Fuß lang, gerade wie ein Speerschaft, wohl ausbalanciert, dabei überraschend leichtgewichtig und unzerstörbar. Die Härte und Durchschlagskraft seiner Spitze übertraf die von Stahl. Seine eigentliche Macht lag in einer höchst ungewöhnlichen Eigenschaft, die ihn von allen anderen Waffen unterschied.
Ez wohnte ein Feuer inne, das sich an den Absichten des Herzens entzünden konnte. Je mehr ungezügelte Boshaftigkeit eine Person erfüllte, desto entflammbarer war ihre Seele. Die kleinste Berührung mit dem schwarzen Holz genügte, um einen hasserfüllten Gegner in eine lebende Fackel zu verwandeln.
Für Taramis verkörperte der wundersame Stecken überdies einen ideellen Wert. Gerade erst geboren, hatte sein Vater ihn und die Mutter vor vierundzwanzig Jahren verlassen. Daher besaß er keine Erinnerungen an diesen für ihn namenund gesichtslosen Mann. Nur den Feuerstab. So wurde Ez zum Abschiedsgeschenk, zu einem Vermächtnis des Unbekannten, der kein Zeridianer gewesen sein konnte – Taramis hatte oft darunter gelitten, ein Halbblut zu sein. Meister Marnas, sein Lehrer, war der Meinung, dieser geheimnisvolle Mensch müsse außergewöhnliche Macht besessen haben, weil er so einzigartige Fähigkeiten an seinen Sohn weitergegeben habe.
Mit Sinnen, die wie ein trockener Schwamm alles um sich herum aufsaugten, folgte Taramis der glitzernden Spur einen lang gestreckten Hang hinab. Dabei verschmolz er förmlich mit seiner Umgebung. Um ganz eins zu sein mit dem Wald, lief er barfuß. Nach Sitte seines Volkes hatte er das schwarze, bis zur Mitte des Rückens reichende Haar zu sieben Zöpfen geflochten. Damit die Luft ungehindert seinen Nacken umfächeln konnte, waren sie mithilfe von Lederbändern zu einem großen Rossschwanz zusammengefasst. Abgesehen von seinen Waffen trug er nur ein dünnes Lendentuch, das eine Handbreit über den Knien endete. Er hatte sich zur Tarnung mit einer grünbraunen Paste aus Wurzelsud, Kräutern und Schlamm eingeschmiert. So vermochten ihn die meisten Waldbewohner weder zu sehen noch zu wittern. Sein schlanker, muskulöser Körper bewegte sich so geschmeidig und unauffällig wie der Leib einer Schlange zwischen den rotbraunen Stämmen hindurch. Und wenn es darauf ankam, stieß Taramis mit seinen ihm eigenen Giftzähnen auch so plötzlich wie eine Viper zu.
Denn wie auf den Stab Ez,
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