Die Differenzmaschine: Roman (German Edition)
Finger und zog den Stein mit gehörigem Druck über das Wagenfenster. Es gab ein dünnes, kratzendes Kreischen, beinahe unhörbar, und auf dem Glas erschien eine glänzende Rille.
»Echt«, erwiderte sie.
Dann saßen sie in umgänglichem Schweigen, während der Dampfwagen sie zum Hotel trug. Fraser betrachtete alles durch das Wagenfenster und erinnerte sich seiner Instruktionen. »Sie können das alte Mädchen trinken lassen, so viel sie will«, hatte der Chef ihm mit seiner unnachahmlich affektierten Ironie gesagt, »reden, was sie will, flirten, mit wem sie will, nur darf es natürlich nicht zum offenen Skandal kommen. Sie können Ihre Mission als erfüllt betrachten, wenn es Ihnen gelingt, unsere kleine Ada von den Wettmaschinen fernzuhalten.« Die Gefahr dieses Unheils war gering gewesen, denn ihr Geldbeutel enthielt nichts als Fahrkarten und Kleingeld, aber der Brillantring hatte die Lage verändert. Von nun an würde er besser aufpassen müssen.
Ihre Räume im Hotel Richelieu waren ziemlich bescheiden, mit einer Verbindungstür, die er nicht berührt hatte. Die Türschlösser waren stabil, und er hatte die unvermeidlichen Gucklöcher gefunden und verstopft. Die Schlüssel verwahrte er.
»Ist von dem Vorschuss noch etwas übrig?«, fragte Lady Ada.
»Genug, um dem Chauffeur ein Trinkgeld zu geben«, sagte Fraser.
»Ach du lieber Gott. So wenig?«
Fraser nickte. Die französischen Gelehrten hatten für das Vergnügen ihrer gelehrten Gesellschaft wenig genug bezahlt, und das hatten ihre Schulden rasch verschlungen. Die mageren Einnahmen aus dem Verkauf der Eintrittskarten hätten kaum ausgereicht, ihre Fahrtkosten von London zu decken.
Lady Ada öffnete die Vorhänge, blickte stirnrunzelnd in den Sommertag hinaus, zog sie wieder zu. »Dann wird mir nichts übrig bleiben, als diese Vortragsreisen in Amerika anzunehmen.«
Fraser seufzte unhörbar. »Es heißt, dass dieser Kontinent mit vielen Naturschönheiten aufwarten kann, Milady.«
»Aber welche Vortragsreise? Boston und Philadelphia? Oder Charleston und Richmond?«
Fraser sagte nichts. Schon die Namen der fremden Städte legten eine bleierne Düsternis auf sein Gemüt.
»Ich werde eine Münze werfen!«, beschloss Milady vergnügt. »Haben Sie eine, Mr. Fraser?«
»Nein, Milady«, log Fraser und durchsuchte seine Taschen, wo es gedämpft klimperte. »Tut mir leid.«
»Bekommen Sie überhaupt nichts bezahlt?«, forschte sie mit einer Andeutung von Verärgerung.
»Ich habe meine Polizeipension, Milady. Recht großzügig, und prompt bezahlt.« Wenigstens das mit der Promptheit traf zu.
Sie war jetzt besorgt, verletzt. »Aber bezahlt die Royal Society Ihnen nicht ein angemessenes Gehalt? Ach du lieber Gott, und ich habe Ihnen so viele Schwierigkeiten bereitet, Mr. Fraser! Ich hatte keine Ahnung …«
»Sie entschädigen mich in Ihrer eigenen Weise, Madame. Ich fühle mich ausreichend belohnt.«
Er war ihr Paladin. Das war mehr als genug.
Sie ging an ihren Schreibsekretär und suchte zwischen Papieren und Quittungen. Ihre Finger berührten den Schildpattgriff ihres Reisespiegels.
Sie wandte sich um und überraschte ihn mit dem Blick einer Frau. Unter seinem Druck hob er unwillkürlich die Hand und berührte seine unebene Wange unter der Augenklappe. Sein weißer Backenbart konnte die Narben nicht verstecken. Eine Schrotladung hatte ihn dort getroffen. Es schmerzte immer noch, wenn ein Wetterwechsel bevorstand.
Sie sah seine Geste nicht, oder geruhte nicht, sie zu sehen, sondern winkte ihm nur. »Mr. Fraser. Mein Freund. Sagen Sie mir etwas, bitte. Sagen Sie mir die Wahrheit.« Sie seufzte. »Bin ich nichts als ein komischer kleiner grauhaariger Blaustrumpf?«
»Madame«, sagte Fraser, »Sie sind La Reine des Ordinateurs .«
»Bin ich das?« Sie hob den Spiegel, blickte hinein.
In dem Spiegel, eine Stadt.
Das Jahr 1991. London. Zehntausend Türme, das zyklonische Summen von Milliarden Maschinen und Schaltungen, die Luft erdbebenfinster in einem Öldunst, in der Reibungshitze ineinandergreifender Räder. Schwarze nahtlose Straßenbeläge, ungezählte geteerte Zuflüsse für die rasenden Fahrten der Geister der Geschichte, die in dieser heißen, glänzenden Nekropole losgelassen sind. Papierdünne Gesichter blähen sich wie Segel, verformen sich, gähnen, wehen durch die leeren Straßen, menschliche Gesichter, die geborgte Masken sind, und Linsen für ein spähendes Auge. Und wenn ein gegebenes Gesicht seinen Zweck erfüllt hat, zerbröckelt es,
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