Die Drachenperle (German Edition)
aber nicht ganz sicher. Er war blass und schien unterernährt zu sein. Dennoch waren Mu skeln und Sehnen kräftig . Ein zäher kleiner Bursche, dachte Madox bei sich.
„Wir sollten gemeinsam überlegen, wie wir dich nennen werden. Oder wir warten, bis Darorah kommt. Sie ist die Heilerin des Volkes. Ich habe Kimkimdraorkim ausgesandt, sie zu holen. Schließlich brauchst du auch etwas zum Anziehen.
Der Junge blickte an sich herunter, wurde puterrot und zog die Felldecke etwas höher.
„Nana, du brauchst dich doch nicht vor einem alten Mann wie mir schämen. Ich würde dir mein zweites Gewand geben, aber ich bin viel größer als du, und du würdest nur über den Saum stolpern. Besser, wir warten auf die Heilerin. Sie hat Söhne und bringt dir Kleidung.“
„Wie bin ich nun wirklich hierhergekommen? Ich kann mich an nichts erinnern.“
„Wie ich schon sagte, Kimkimdraorkim hat dich gefunden und zu mir gebracht. Kannst du dich vielleicht an ein flirrendes Irrlicht erinnern? Naseweis, stark duftend, piepsige Stimme? Ah! An deinem ungläubigen Blick erkenne ich, dass du doch schon Kimkimdraorkim kennengelernt hast.“ Der Einsiedler bemühte sich, nicht allzu amüsiert dreinzuschauen. Die Kulleraugen, die der Junge machte, waren aber auch zu drollig.
„Ihr meint dieses Glühwürmchen? Ist das euer Ernst, Ehrwürdiger? Und dieses winzige Flatterlicht soll mich hergebracht haben? Wie denn? Wie ist so was möglich?“
„Oh, unterschätze niemals die Kraft eines taikianischen Irrlichtes! In der Tat ist sie das stärkste Wesen im Wald des Ewigen Frostes. Alles, was sie in ihr Licht hüllt, kann sie fortbe wegen. Nur eines kann sie nicht - den Frost enden lassen, dafür reicht auch ihre enorme Kraft nicht.“ Madox ließ seine Schultern hängen und sah plötzlich noch älter aus, so , als lastete ein schweres Gewicht auf seiner Seele.
Der Junge trank den Becher leer. „Kann ich bitte mehr haben?“ Der Alte straffte seine Schultern. „Natürlich mein Junge. Auf dem Feuer köchelt auch ein Abendessen für uns. Du bekommst so viel Tee wie du willst , und du wirst bald deinen Hunger stillen können.“ Er ging zur Feuerstelle und füllte erneut den Becher. Die Gelegenheit ergreifend rührte der Eremit den Getreidebrei sorgfältig um und gab noch zwei Handvoll in Honig eingelegte Taglilienknospen hinzu, die in der Nähe der neuen Siedlung wuchsen. „Sag mal, Junge… diese Narbe auf deiner Schulter, seit wann hast du sie?“ Hätte sein Gast auf ihn geachtet, hätte er b emerkt, wie der alte Mann mit betont ausdruckslosem Gesicht auf die Antwort lauschte und dabei doch erwartungsvoll den Atem anhielt. Aber der Junge sah sich in der Hütte um, soweit das Licht aus dem Herdfeuer und der Laterne mit dem Talglicht, die neben der Tür hing, die Umgebung erhellte und somit Einblick gewährte. Alles war sehr ordentlich und sauber, zweckmäßig und schlicht. Es gab außer der Feuerstelle zwei große Regale an der Wand gegenüber, mit den verschiedensten Utensilien und Büchern und einen Tisch mit vier Hockern in der Mitte des Raumes. Neben dem Bett, in dem der junge Gast sich in die Pelzdecken kuschelte, stand noch eine große Deckeltruhe, die schöne Schnitzereien aufwies. Auf der anderen Seite des Bettes stand ein kleines, etwas schief geratenes Tischlein mit einer dicken Kerze. Beiläufig antwortete er: „Ach, das ist keine Narbe, das ist ein Muttermal, ich habe es seit meiner Geburt.“ Madox stieß scharf die Luft aus und kniff die Augen zusammen. Großer Schöpfer Taiki, er ist es! Er ist es wahrhaftig!
Just in diesem Moment polterte es vor der Tür und eine Frauenstimme schimpfte vor sich hin. Der Eremit wandte sich um, drückte schnell dem Jungen den dampfenden Teebecher in die Hand und ging mit langen Schritten zur Tür, um sie zu öffnen. Ein Schwall bitterer Kälte drang in die Hütte.
„Darorah! Endlich bist du da. Was liegst du im Schnee? Steh auf, lass dir helfen. Kommt rein, alle beide!“ Er reichte ihr die Hand und zog die kleine stämmige Frau hoch. Für sein Alter war er erstaunlich kräftig. „Issyrle! Steh nicht rum und halte Maulaffen feil. Hebe lieber die Sachen auf, die deine Mutter hat fallen lassen!“ Die kräftige Frau und das eher zierliche Mädche n klopften sich den Schnee von Jacken und Schuhen und schlüpften erleichtert in die warme Hütte. Madox schloss flink die dicke Holztür, um so wenig Wärme wie möglich zu verlieren. Brennstoff war wertvoll und knapp geworden.
Die Heilerin
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