Die Drenai-Saga 2 - Der Schattenprinz
Pfade und hielt wachsam Ausschau nach Patrouillen. Er konnte ja nicht wissen, ob die vier Soldaten sämtliche Jäger gewesen waren, oder ob es noch weitere Gruppen gab, die das Mädchen verfolgten.
Auf eine seltsame Art kümmerte ihn das nicht. Er beschleunigte das Tempo und schaute sich nur selten um, ob Renya Schwierigkeiten hatte, mitzuhalten. Wenn er hielt, um Landmarken zu studieren oder offenes Gelände zu beobachten, war sie immer dicht hinter ihm.
Renya folgte ihm still, die Augen auf den großen Krieger gerichtet. Sie bemerkte die Sicherheit seiner Bewegungen und die Sorgfalt, mit der er seinen Weg wählte. Wieder und wieder sah sie zwei Szenen vor sich: den nackten Tanz in dem verlassenen Turnsaal und den Todestanz mit den Soldaten im Schnee. Ein Bild überlagerte das andere … sie vermischten sich, wurden eins. Derselbe Tanz. Die Bewegungen waren so geschmeidig, beinahe fließend, wenn er sprang und sich drehte. Die Soldaten hatten im Vergleich zu ihm unbeholfen und ungelenk gewirkt, wie lentrische Marionetten an verknoteten Stricken.
Und jetzt waren sie tot. Hatten sie Familien? Wahrscheinlich. Liebten sie ihre Kinder? Wahrscheinlich. Sie waren voller Zuversicht auf jene Lichtung marschiert. Und dann, binnen weniger schrecklicher Augenblicke, waren sie nicht mehr.
Warum?
Weil sie mit Tenaka Khan getanzt hatten.
Sie schauderte. Das Tageslicht ließ nach, und lange Schatten krochen aus den Bäumen hervor.
Tenaka wählte als Platz für ihr Lagerfeuer eine Stelle hinter einem vorspringenden Felsen, wo sie vor dem Wind geschützt waren. Sie lag in einer flachen Senke und war von knorrigen Eichen umgeben, die das Feuer gut abschirmten. Renya ging zu ihm, sammelte Holz und stapelte es sorgfältig auf. Ein Gefühl der Unwirklichkeit packte sie.
Die ganze Welt sollte so sein, dachte sie. Von Eis bedeckt und rein: Alle Pflanzen schlafen, warten auf die goldene Vollkommenheit des Frühlings; alles Böse vergeht unter dem reinigenden Eis.
Ceska und seine Legionen der Dämonenbrut würden verschwinden wie die Alpträume der Kindheit, und die Freude würde wieder Einzug bei den Drenai halten, wie das Geschenk der Morgendämmerung.
Tenaka holte einen Topf aus seinem Gepäck und setzte ihn aufs Feuer; dann warf er Schnee hinein, bis der Topf halbvoll mit warmem Wasser war. Anschließend schüttete er aus einem kleinen Leinenbeutel eine großzügige Portion Haferflocken hinein und gab Salz hinzu. Renya beobachtete ihn schweigend, den Blick auf seine schrägstehenden violetten Augen geheftet. Wieder fühlte sie sich ruhig und friedlich, als sie mit ihm am Feuer saß.
»
Warum bist du hier?« fragte sie.
»Um Ceska zu töten«, antwortete er, während er den Haferbrei mit einem Holzlöffel umrührte.
»Warum bist du hier?« wiederholte sie.
Einige Augenblicke verstrichen, doch sie wußte, daß er Antwort geben würde, und so wartete sie und genoß die Wärme und die Nähe dieses Mannes.
»Es gibt sonst keinen Ort, wohin ich gehen könnte. Meine Freunde sind tot … Meine Frau … ich habe nichts. In Wirklichkeit habe ich immer nur … nichts gehabt.«
»Du hattest Freunde … eine Frau.«
»Ja. Es ist nicht leicht zu erklären. In der Nähe von Ventria, wo ich zu Hause war, gab es einst einen weisen alten Mann. Ich sprach oft mit ihm über das Leben und die Liebe und Freundschaft. Er schalt mich, machte mich wütend. Er sprach von tönernen Diamanten.« Tenaka schüttelte den Kopf und verfiel in Schweigen.
»Tönerne Diamanten?« fragte sie.
»Spielt keine Rolle. Erzähl mir von Aulin.«
»Ich weiß nicht, was er dir sagen wollte.«
»Das glaube ich«, erwiderte er. »Erzähl mir einfach von ihm.« Mit zwei Stöcken hob er den Topf aus dem Flammen und setzte ihn zum Abkühlen auf den Boden. Sie beugte sich vor, um frisches Holz nachzulegen.
»Er war ein friedlicher Mann, ein Priester der Quelle. Aber er war auch Arcanist und liebte nichts mehr, als das Land nach Relikten der Alten zu durchsuchen. Er hat sich mit seinen Fähigkeiten einen Namen gemacht. Er erzählte, daß er Ceska unterstützt hat, als er an die Macht kam, daß er ihm alle seine Versprechen für eine bessere Zukunft geglaubt hat. Aber dann begann die Schreckensherrschaft. Und die Bastarde …«
»Ceska hat die Zauberei immer schon geliebt«, meinte Tenaka.
»Du kennst ihn?«
»Ja. Erzähl weiter.«
»Aulin war einer der ersten, der Graven erforschte. Er fand die verborgene Tür unter dem Wald und die Maschinen, die dort standen. Er
Weitere Kostenlose Bücher