Nacht der Versuchung
PROLOG
„Du wirst deine Mummy doch nicht vergessen, wenn ich jetzt wegen meiner Arbeit fort bin, meine Süße?“
Mitfühlend betrachtete Mariella Sutton ihre jüngere Halbschwester Tanya, die ihr widerstrebend ihre vier Monate alte Tochter in den Arm legte.
„Ich weiß, Fleur könnte es nirgendwo besser haben als bei dir, Mariella.“ Tanya lächelte mit Tränen in den Augen. „Schließlich bist du nach Mums und Dads Tod für mich nicht nur die große Schwester, sondern auch so etwas wie eine Mutter gewesen. Ich wünschte mir einfach nur, meine Arbeit würde mich nicht zwingen zu reisen, aber ich kann es mir wirklich nicht leisten, den Sechs-Wochen-Vertrag auf diesem Kreuzfahrtschiff abzulehnen! Ich weiß, du würdest für uns beide aufkommen“, fuhr sie fort, ehe Mariella etwas einwenden konnte, „aber ich will so unabhängig wie möglich sein. Und außerdem wäre es schließlich die Sache von Fleurs Vater, uns finanziell zu unterstützen! Ich weiß wirklich nicht, was ich an diesem Schwächling und Lügner gefunden habe. Mein wundervoller Traum von einem aufregenden Scheich hat sich leider als Albtraum erwiesen.“
Mariella verkniff sich jede Bemerkung dazu, weil sie wusste, wie tief verletzt und unglücklich ihre Halbschwester gewesen war, als ihr Geliebter sie sitzen gelassen hatte. „Aber du weißt genau, dass das wirklich nicht nötig ist“, sagte sie nur noch einmal sanft. „Ich verdiene genug, und das Haus ist auch groß genug für uns drei.“
„Das weiß ich doch, Mariella. Aber du hast schon viel zu viel für mich getan, seit Mum und Dad gestorben sind. Immerhin warst du damals erst achtzehn, also noch drei Jahre jünger, als ich es jetzt bin, und da Dad offensichtlich nicht damit gerechnet hatte, dass ihm etwas zustoßen könnte, war nicht nur kein Geld da, sondern auch noch das Haus mit Hypotheken belastet.“
Die beiden Schwestern sahen sich an. Sie hatten beide das zarte, herzförmige Gesicht, den makellosen Pfirsichteint und das strohblonde Haar ihrer Mutter geerbt. Während Tanya allerdings so groß war wie ihr Vater und auch dessen braune Augen mitbekommen hatte, war Mariella eher klein und zierlich und hatte die auffallend blaugrünen Augen von ihrem Vater geerbt, dem Mann, der kein Jahr nach ihrer Geburt festgestellt hatte, dass Ehe und Vaterschaft nicht nach seinem Geschmack waren, und seine Frau mit dem Baby sitzen gelassen hatte.
Tanya hatte ihre ältere Halbschwester immer um ihre ungewöhnliche Augenfarbe beneidet, vor allem als sie sich, entgegen Mariellas Hoffnungen, gegen ein Studium und für eine Karriere als Sängerin und Tänzerin entschieden hatte. Mit Mariellas Augen, so behauptete sie immer, würde sie jede andere Bewerberin um eine Rolle ausstechen. Und Mariella bewunderte ihre eigenwillige und impulsive Halbschwester, die sich durch nichts von ihrem eingeschlagenen Weg abbringen ließ – auch wenn es ihr jetzt sicher sehr schwer fallen würde, ihre kleine Tochter sechs Wochen lang nicht zu sehen.
Denn bei allen Unterschieden und kleineren Meinungsverschiedenheiten, in einem waren sich die beiden Schwestern restlos einig: in ihrer bedingungslosen Liebe und Fürsorge für die kleine Fleur.
„Ich werde jeden Tag anrufen“, versprach Tanya jetzt heiser. „Ach Mariella, ich habe so ein schlechtes Gewissen … Ich weiß doch, wie sehr du als kleines Kind gelitten hast, weil dein Vater nicht da war, sondern dich und Mum im Stich gelassen hat … und wie viel Glück ich hatte, dass Mum und Dad und du für mich da wart. Und jetzt lasse ich meine kleine Fleur hier bei dir …“
Mit dem Baby auf dem Arm drückte Mariella ihre Schwester beruhigend an sich. „Das Taxi ist da“, sagte sie und wischte Tanya liebevoll die Tränen aus dem Gesicht.
„Mariella, ich habe einen Wahnsinnsauftrag für dich!“
Mariella gab gerade Fleur die Flasche, als ihre Agentin Kate anrief und offenbar Feuer und Flamme war.
„Es geht um Dutzende von Rennpferden. Der Auftraggeber besitzt einen eigenen Rennstall unten in Zuran. Er ist ein Mitglied des Königshauses von Zuran und hat anscheinend über den Burschen aus Kentucky von dir erfahren – du weißt schon, dem der Sieger aus dem Derby vergangenes Jahr gehörte, den du dann gemalt hast. Wie auch immer, Prinz Sayid möchte, dass du nach Zuran fliegst, selbstverständlich auf seine Kosten, und das Projekt mit ihm besprichst … sozusagen die Biester vor Ort begutachtest.“
Mariella lachte. Sie wusste, dass Kate, stets in exklusive
Weitere Kostenlose Bücher