Die Dunkelgräfin: Das Geheimnis um die Tochter Marie Antoinettes (German Edition)
nachzulesen: www.carolinphilipps.de
Madame Royale –
Kindheit und Jugend zwischen Luxus
und Kerker (1778 – 1795)
Misstrauen
»Sie schnitten Brote durch und untersuchten das Innere mit einer Gabel oder sogar mit den Fingern«,
berichtet der Küchenjunge Turgy über das Misstrauen, das man vonseiten der Wachen den Gefangenen entgegenbrachte. 1 Er durfte erst im Speisezimmer den Tisch decken, wenn die Beamten ihn von oben bis unten überprüft hatten. Tischtücher und Servietten mussten vor ihren Augen auseinandergefaltet werden, Karaffen mit Papier verschlossen werden: »Trotzdem gelang es mir oft, in einem Gang oder auf der Wendeltreppe den Papierstöpsel einer Karaffe mit einem anderen zu vertauschen, auf den wir mit Zitronensaft oder Galläpfelextrakt Hinweise oder Nachrichten geschrieben hatten.« Manchmal beschwerte er Zettel mit eingewickelten Bleikügelchen, und dann kam alles in die Karaffe mit der Mandelmilch. Ein vereinbartes Zeichen unterrichtete die Familie über das Kügelchen in der Milch. Wenn das Papier nicht beschrieben war, nutzten es die Königin und Madame Elisabeth für Anweisungen zum Hinausschmuggeln.
Die Situation verschärfte sich für die Gefangenen am 28. September 1792 dramatisch. Gegen zehn Uhr kamen sechs Kommissare in das Zimmer der Königin, wo sich die Familie aufhielt. Einer von ihnen las einen Beschluss der Commune vor: Papier, Tinte, Federn, Bleistifte und alle beschriebenen Blätter mussten abgegeben werden. Alle Zimmer wurden untersucht. Grund hierfür war die wahre Vermutung, dass heimlich Briefe nach außen geschmuggelt wurden, sogar unter Beteiligung von Beamten. Während der König und die anderen alles abgaben, gelang es Marie Antoinette und ihrer Tochter, Papier und Stifte zu retten. 2
Am selben Abend noch wurde der König in das Appartement im großen, dem anderen Turm des Temple gebracht. »Wir verließen ihn unter Tränen«, schreibt Marie Thérèse. 3 Die Trennung voneinander war der große Horror jener Tage. In seiner Schrift verteidigte Verdier diesen Befehl, weil die Familie immerzu miteinander geflüstert habe, obwohl man ihnen befohlen hatte, laut zu reden. 4
Am nächsten Tag wurde es dem König verweigert, seine Familie zu sehen. Nur Cléry durfte zu ihnen. Er fand sie weinend in den Räumen der Königin. Marie Antoinette bat die Beamten, wenigstens die Mahlzeiten gemeinsam verbringen zu dürfen, was ihnen unter der Auflage gewährt wurde, alle Gespräche mit lauter Stimme und auf Französisch zu führen. Bei Tisch machte ein Beamter einmal eine richtige Szene, schrieb Marie Thérèse, weil er meinte, ihre Tante habe leise mit dem König geredet. 5
Im Oktober kam es zu einer erneuten Trennung, die ihre zerbrechliche Sicherheit wieder zerstörte. Die Königin musste mit der Familie auch in den Turm umziehen, wo der König schon untergebracht war. Der kleine Dauphin wurde Marie Antoinette weggenommen und in den Räumen des Königs untergebracht. Nur zu den Mahlzeiten durfte er zu seiner Mutter und Schwester. Marie Antoinette war untröstlich.
Von nun an wohnte Marie Thérèse in einem Zimmer mit ihrer Mutter. Der Tagesablauf blieb: Um neun Uhr kamen der König und der Dauphin zum Frühstück. Danach machte Cléry den Damen die Haare, auf Bitten der Königin brachte er Marie Thérèse das Frisieren bei. Nach dem Mittagessen beschäftigten sich der Dauphin und Marie Thérèse im Vorzimmer mit Federball spielen oder mit ihren Murmeln; manchmal spielten sie mit kleinen Säckchen, gefüllt mit Goldstücken, die versteckt und dann wieder gesucht wurden. Madame Elisabeth und Cléry blieben bei ihnen, wobei die Erwachsenen die Situation nutzten, um unbemerkt Informationen auszutauschen. Marie Thérèse war eingeweiht und lenkte durch Lärm beim Spielen mit dem Dauphin die Kommissare ab, die vor dem Zimmer Wache standen. Kamen sie doch plötzlich herein, gab Marie Thérèse ein verabredetes Warnsignal.
Die Wachen, die den strikten Befehl hatten, jeden Kontakt der Familie nach außen zu unterbinden, hatten nicht ohne Grund den Verdacht, dass man sie austrickste. So kam es zu teilweise grotesken Verboten. Eines Tages erstellte Cléry nach den Angaben der Königin eine kleine Multiplikationstabelle, um dem Dauphin das Rechnen zu erleichtern. Ein Beamter behauptete daraufhin, sie lehre ihren Sohn einen geheimen Zahlencode. Die Rechenstunden wurden verboten.
Immer wieder erschienen plötzlich, meist während der Mahlzeiten, Beamte, um irgendwelche Anweisungen zu
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