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Die dunkle Quelle

Die dunkle Quelle

Titel: Die dunkle Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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Rathaus immer noch nicht bezahlt worden war, sowie eine
Anfrage vom Kjeer-Tempel zu Warchaim, ob Kuellen im Frühjahr an einer rituellen
Ackersegnung interessiert sei. Zu guter Letzt wollte die Wirtin vom Treuen Eselchen einen Vers für ihre Textsammlung bekommen,
vom Bürgermeister eigenhändig gedichtet. Wie jedes Jahr würde sie ein Gedicht
aus Rodraegs Feder erhalten, mit Müh und Not gereimt, aber vom Bürgermeister
schwungvoll unterzeichnet.
    Rodraeg goß sich eine
Tasse Grüne Entgegnung ein und beschloß, das leidige
Dichten auf morgen oder übermorgen zu verschieben. Ebenso die Mahnung des
Tonkrughändlers. Erledigen konnte er in dieser Nacht allenfalls den Kuhmist,
den emsigen Maulwurf und die Kjeer-Priester. Für solche Riten hatte der
Bürgermeister nie Geld übrig, Kuellen war während seiner Amtszeit ein von den
Göttern regelrecht verlassenes Örtchen geworden.
    Zuerst aber sollte er
für Reyren die Brückenbau-Unterlagen suchen, so lange er zumindest noch eine
ungefähre Ahnung hatte, wo sie stecken konnten. Für alles, was mit dem Fluß
Larnus und seinen drei Quellen zusammenhing, die dem Ort Kuellen seinen
überlieferten Namen gaben, war der Schreiber Yornba zuständig, und der greise
Yornba pflegte aufgrund seiner Unbeweglichkeit alle möglichen Unterlagen in
seiner Stube zu horten, ohne sie wieder an ihren eigentlichen Platz
zurückzubringen.
    Rodraeg nahm die Tasse
einfach mit. In Yornbas Stube forstete er eine gute Viertelstunde nach der
Brückenmappe und fand sie schließlich unter einem Stapel von Larnwaldkarten.
Zwischendurch genehmigte er sich den Tee und spürte, wie er langsam wieder
munterer wurde.
    Auf dem Rückweg zu
seiner Stube kam ihm ein Gedanke. Mit der leeren Tasse in der Hand und der
Brückenmappe unterm Arm durchquerte er das nächtlich stille Gebäude, ging die
hölzerne Treppe ins Obergeschoß hinauf und betrat die kleine Bibliothek.
    Hier stellte er die
Tasse auf einen Tisch, legte die Brückenmappe daneben, entzündete mit einem
langen Schwefelholz die drei Kerzen eines Leuchters und ging mit dem Leuchter
in der Hand auf die Suche nach der Bebilderthen Encyclica
unserer Thierwelt . Er fand das Buch und beschloß, es in seine Stube
mitzunehmen, um bei einem weiteren Täßchen Tee darin zu stöbern. Er sammelte seine
Sachen zusammen, pustete die Kerzen aus und ging wieder nach unten. Unterwegs
überprüfte er, ob Kepuk die Haupteingangstür auch abgeschlossen hatte. Rodraeg
legte die Brückenmappe auf Reyrens Stehpult und ging dann in seine Stube
zurück.
    Mit einer zweiten Tasse
Tee suchte er dann in der Encyclica nach den Mammuts.
    Die Encyclica war ein aufwendig gedrucktes Exemplar, Auflage zweihundert Stück. Die Bilder
waren schwarz-weiße Zeichnungen, reproduziert in einem Verfahren, das nach
Rodraegs Kenntnis erst vor etwa zwanzig Jahren erfunden worden war. Jedenfalls
ein äußerst wertvolles Exemplar, berechtigterweise Augenstern des
Bürgermeisters.
    Die Tierwelt des
Kontinents war hier alphabetisch geordnet. Ganz vorne standen Affen , gefolgt von den Affenmenschen ,
von denen einige behaupteten, sie seien Menschen ähnlicher als Tieren, könnten
sprechen und würden Kleidung tragen und herstellen. Aber die Bilder in der Encyclica wiesen sie als wilde, reißzahnbewehrte Ungeheuer
aus. Danach gab es etliche Seiten über Bären wie den gewaltigen Ogerbären , über die verschiedenen Drachenarten ,
von denen Rodraeg auf seinen Reisen einen Federflügeldrachen und einen Glutdrachen sogar schon mit eigenen Augen
gesehen hatte, mehrere Seiten über Echsen und eine besonders schön bebilderte
über ein gepanzertes, kräftiges Einhorn . Danach kamen Fische , Flederwesen , Grufträuber , Höhlentiere , Hunde , Insekten , Katzenartige , Kobolde , Krakenmonster , Krebse , Lurche und Mammuts .
    Hier stand als erstes:
Ausgestorben.
    Der Text war nicht sehr
ergiebig. Man hatte Skelette gefunden und zwei vollständig erhaltene,
mumifizierte Mammuts in einer Teergrube im Wald von Thost, viel mehr wußte man
nicht. Aber die Zeichnung war großartig: Ein gewaltiges, zottiges Tier mit
Rüssel und Stoßzähnen, die zu beinahe geschlossenen Kreisen gewachsen waren; um
seine Füße herum rannte lachhaft und unbedeutend eine kleine Horde von Jägern
mit Speeren.
    Dieses Bild hatte
Rodraeg geträumt, wenn auch nicht ganz. Er hatte vor

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