Die Mädchen (German Edition)
Vorher
Ich hatte meinen Autoschlüssel ins
Schloss gesteckt und wollte gerade starten, als ein Klopfen an meiner Scheibe
mich zusammenzucken ließ. Mein Gott, ich sollte wirklich nicht immer so gedankenverloren
sein, dann bekam ich auch eher mit, was um mich herum geschah. Ich drehte den
Kopf leicht nach links und zog erstaunt die Augenbrauen hoch, denn mit diesem
Anblick hätte ich im Leben nicht gerechnet. Da war sie. Sie stand einfach da
und war so schön, so unbeschreiblich schön, dass mir der Atem stockte.
Ob sie wohl wusste, wozu sie im
Stande war? Dass sie allein durch ihre Anwesenheit mein Herz zum Schmelzen und meinen
ganzen Körper ins Schwitzen brachte? Wohl kaum. Sie lächelte mich schüchtern
an, was mir einen wohligen Schauer über den Rücken jagte, und gab mir ein
Zeichen, die Scheibe hinunterzudrehen. Ich ließ die Zündung an und betätigte
mit zitternder Hand den Schalter für den automatischen Fensterheber.
„Gut, dass ich Sie noch erwische.“
Süß. Sie klang richtig erleichtert.
Sie hatte ja keine Ahnung. Ich merkte, wie mir warm wurde, als ich ihre Nähe
spürte.
„Gilt Ihr Angebot noch?"
fragte sie.
Ich blinzelte, was nicht an der
Sonne lag, die mir direkt ins Gesicht schien. Angebot?
„Dass ich immer zu Ihnen kommen
kann?"
Ach, das... Dass sie sich daran
erinnerte, hätte ich nicht erwartet. Mir kam es wie eine Ewigkeit vor, dass ich
diese Floskel von mir gegeben hatte.
„Natürlich. Du hast etwas auf dem
Herzen?"
Sie wich meinem Blick aus. „Na ja,
nicht wirklich. Ich dachte nur, wir könnten uns mal treffen. Ein bisschen
reden."
Mein Puls begann, schneller zu
werden, wenn das überhaupt noch möglich war. Hoffentlich bekam ich nicht noch
einen Herzinfarkt. Ich spürte, wie meine Hände feucht wurden. Das passierte mir
immer, wenn ich aufgeregt war, ein Erbstück meines Vaters, und hatte mir schon
vor so manchem wichtigen Termin schlaflose Nächte beschert. Zum Glück musste ich
ihr nicht die Hand geben. Das hätte sie vermutlich abgeschreckt.
„Das würde ich gern."
Ich sah mich bemüht unauffällig um.
Niemand schien Notiz von uns zu nehmen, aber wer wusste schon, ob nicht doch
irgendjemand hinter einer Gardine lauerte und mit Interesse verfolgte, was
zwischen uns vor sich ging. Es gab doch so viele Bescheuerte auf der Welt, in
deren Leben sich nichts anderes abspielte, als dass sie andere beobachteten.
„Aber das würde ich lieber
ungestört machen. Du nicht auch?"
Ihr lächelndes Nicken schickte mich
himmelwärts.
„Okay, ich sag dir, wie wir es
machen."
Als ich kurz darauf wegfuhr und sie
im Rückspiegel auf ihr Fahrrad steigen sah, hätte ich ihr am liebsten noch mal
nachgehupt, doch ich konnte mich gerade noch rechtzeitig bremsen. Nur nicht
unnötig auf mich aufmerksam machen. Ich lächelte während der gesamten Fahrt in
mich hinein und summte fröhlich alle Melodien mit, die im Radio liefen, auch
wenn ich sie normalerweise gar nicht ausstehen konnte. Mein Tag war gerettet.
Ich hatte überhaupt nicht mehr darauf gehofft, hatte sie längst abgeschrieben
und jetzt das. Es war beinahe zu schön, um wahr zu sein. Da hatte ich sie an
der Angel, ohne dass ich großartig etwas hatte dazu tun müssen. Jetzt bloß
nichts mehr vermasseln.
Erstes Kapitel
Christopher Tuchel war nervös.
Wie oft er sich schon mit der Hand
durch seine
etwas zu langen,
blonden
Haare gefahren war, ein sicheres Zeichen dafür,
hätte er nicht sagen können. Aber
Und
es war ja
auch
das war kein Wunder. Heute war sein
großer Tag, sein erster Tag in Freiheit seit mehr als acht Jahren. Er konnte es
kaum fassen, dass es endlich soweit war. Acht Jahre, zwei Monate und drei Tage
genau hatte er auf diesen Augenblick gewartet. Kürzer als ursprünglich vorgesehen
und dennoch viel zu lange. Jeden Tag hatte er sich ausgemalt, wie es wohl sein
würde, wieder außerhalb dieser Mauern zu sein, und doch konnte ihn nichts auf
die Realität vorbereiten.
Die Zeit drinnen war schlimm
gewesen. Das Gefühl der Isolation hatte ihn fast wahnsinnig gemacht. Außer seiner
Mutter, die wie ein Uhrwerk einmal die Woche aufschlug, hatte ihn niemand
besucht. Sie war seine einzige Verbindung zur Außenwelt und leider keine
besonders verlässliche, weil sie die Dinge gern nach ihren Vorstellungen
färbte. Aber er wollte nicht undankbar sein, denn immerhin kam sie.
Seine Freunde hatten sich allesamt
von ihm abgewandt. Er konnte es ihnen nicht verdenken, hätte er in einer
vergleichbaren Situation sicher
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